Karl Nehammer und Werner Kogler
Österreichs Politik hat es sich gemütlich gemacht: Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne).
APA/ROLAND SCHLAGER

In Österreichs Politik geht der Kleingeist um. Das zeigen die meisten politischen Diskussionen, die hierzulande gerade geführt werden: Gehört Marxismus verboten? Soll Österreich zur "Festung" werden? Sind wir ein "Autoland"? Es sind kleinkarierte Schlagwortdebatten.

Natürlich, in manchen Bereichen ist die Politik eines Kleinstaats ohnehin weitgehend machtlos – das gilt für viele Fragen der Migration, auch der Wirtschaft. Dort, wo die heimische Politik handeln kann, ist das Ergebnis fast immer ein Kompromiss, der oft gut und trotzdem nicht befriedigend ist. Die politische Mindestanforderung ist eine gewisse Balance: Die Enttäuschung darüber, dass zu wenig passiert, braucht eine volle Waagschale auf der anderen Seite, die gefüllt ist mit Lösungen – oder zumindest Visionen. Diese Balance stimmt in Österreich schon lange nicht mehr.

Die Welt erlebt derzeit Veränderungen, die kaum jemand in seiner Gesamtheit überblickt: der Krieg in der Ukraine, die gesellschaftlichen Nachwehen der Pandemie, der Vormarsch künstlicher Intelligenz auf dem Arbeitsmarkt, die Inflation, das Klima. In Österreich streiken Notfallmediziner und Ärztinnen, weil Schwerkranke nicht mehr ordentlich versorgt werden können. Mit einer großen Bildungsreform rechnet ohnehin niemand – offenbar nicht einmal der Bildungsminister, der findet, dass das System "krankgejammert" wird.

Werkstatt für Kleinkram

Die Politik hat es sich in ihrer Werkstatt für Kleinkram gemütlich gemacht. Kanzler Karl Nehammer fällt sogar seiner eigenen Partei mit nicht viel mehr als seinem Bekenntnis zum Verbrenner auf. Die Grünen glauben selbst nicht mehr daran, dass die Regierung ein Klimaschutzgesetz auf den Weg bringt, das den Namen verdient. Stattdessen arbeiten sie sich jetzt an nicht unvernünftigen Plänen des Arbeitsministers ab.

Doch es liegt gar nicht an der aktuellen Regierung. In Österreich verbreitet sich die politische Kleingeistigkeit seit vielen Jahren wie eine Seuche. Der Politik wird in ihrer Gesamtheit kaum noch zugetraut, die großen Herausforderungen zu bewältigen. Das hat gute Gründe. Beispielhaft dafür ist Sebastian Kurz, der immerhin drei Jahre lang Kanzler war und vielen als das größte politische Talent seit Jahrzehnten galt. Sein politischer Nachlass besteht aus ein paar Überschriften und der missglückten Zusammenlegung mehrerer Krankenkassen.

Große politische Denkerinnen und Visionäre sind rar. Die einfachen Antworten liefern die Rechten. In Deutschland geht die Sorge um, weil die extreme AfD regional große Erfolge feiert. In Österreich steht die geistige Schwesterpartei der AfD auf der Schwelle zum Kanzleramt. Zumindest in Umfragen liegt die FPÖ seit vielen Monaten stabil auf Platz eins.

Uns steht ein langer Wahlkampf bevor – die "Zeit fokussierter Unintelligenz". Der vernünftige Rest in allen Parteien muss sich jetzt am Riemen reißen. Taktische Politkriege im Klein-Klein sind angesichts der Lage unerträglich. Es geht um sehr viel mehr als den Ausgang der kommenden Wahl. (Katharina Mittelstaedt, 1.7.2023)