Ein weißes Kleid für sie, ein Anzug für ihn. Ehe ist Heteronormativität par excellence.
Ein weißes Kleid für sie, ein Anzug für ihn. Ehe ist Heteronormativität par excellence.
IMAGO/Rene Traut

Dass ich kein besonders großer Fan der Ehe bin, hat sich unter den aufmerksameren Leser:innen vielleicht schon herumgesprochen. Letztes Jahr ist eine Abrechnung mit der romantischen Liebe von mir in Buchform erschienen, die auch mit der Ehe hart ins Gericht geht – und das aus gutem Grund.

Meine Lebenskomplizin und ich sind seit über einem Vierteljahrhundert ein Paar und nach wie vor unverheiratet. Das hat verschiedene Gründe. So war uns lange Zeit suspekt, dass Schwule und Lesben nicht heiraten durften. Diese auch an dieser Stelle leider sehr übliche Privilegierung von Heteronormativität auf Kosten von Marginalisierten war mit liberalen Grundsätzen nicht zu vereinbaren – schon gar nicht mit Verweis auf religiöse Lehrsätze oder Ansichten, die in freiheitlichen Gesellschaften niemandem aufgezwungen werden dürfen. Heteronormativität ist das, was Sie sehen, wenn Sie sich eine durchschnittliche romantische Komödie anschauen. Das, was aus Ihnen spricht, falls Sie angesichts eines kleinen Jungen, der mit einem kleinen Mädchen spielt, Dinge sagen wie: "Oh, ist das süß, die werden bestimmt mal ein Paar." Aber da gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland seit dem 1. Oktober 2017 und in Österreich seit dem 1. Jänner 2019 (Österreich, ey!) heiraten dürfen, fällt dieser Grund weg.

Verdeckte Vertragslast

Ein anderer Grund ist, dass die Ehe, wie die französische Politologin Emilia Roig jüngst erst in ihrem Buch "Das Ende der Ehe" pointiert herausgearbeitet hat, eine tragenden Säule des Patriarchats ist. Ihr zufolge dient die Ehe "nach wie vor den finanziellen und politischen Interessen der Männer". Außerdem habe der Staat ein Interesse daran, das Modell der (ich nehme jetzt einfach mal dieses passende altmodische Wort) Gattenfamilie mit ein, zwei Kindern aufrechtzuerhalten und zu fördern, weil diese leichter zu kontrollieren und kapitalistisch einfacher zu verwerten sei als größere Gruppen. Volle Zustimmung meinerseits. Im Geheimen arbeite ich schon mit feministischen Mitverschwörer:innen daran, Teile aus Roigs Buch bei allen neuen Eheschließungen verpflichtend verlesen zu lassen.

Der sich an Roig anschließende Punkt, der mich darüber hinaus empfindlich stört, ist die verdeckte Vertragslast, die sich Menschen mit der Ehe aufbürden. Nur die wenigsten von uns sind vollumfänglich darüber informiert, was eine Ehe rechtlich bedeutet, wenn sie sich vermählen lassen. Sich damit zu beschäftigen gilt als unromantisch und als Eingeständnis dafür, dass man schon vor der Hochzeit an das Ende der Ehe denkt. Tatsächlich gibt es kaum sinnvollere Dinge mit Blick auf eine von Wohlwollen, Wahrhaftigkeit, Wissbegier und Wandelbarkeit geprägte Liebe, als sich frühestmöglich mit dem möglichen, um nicht zu sagen wahrscheinlichen Ende der Beziehung auseinanderzusetzen. Denn eine bedingungslose Liebe, wie sie uns all überall angepriesen und verkauft wird, existiert nicht. Mehr noch: Sie kann nicht existieren, weil Menschen nicht bedingungslos existieren.

Belastbarer Rahmen

Liebe braucht einen tragfähigen, belastbaren Rahmen, in dem sie möglich sein kann – egal wie groß sie ist, wie unverbrüchlich man sie wähnt und wie ewig man sie glaubt. Zu Liebe kann man nicht verpflichtet werden. Umso wichtiger, dass für Liebesbeziehungen brauchbare Exit-Strategien existieren, die es ermöglichen, den Prozess des Sich-ineinander-Beheimatens, den ich Liebe nenne, möglichst gut zu beenden und aufzulösen. Im Fall der Ehe, die – leider, leider, wir sprachen darüber – ja immer noch als Goldstandard für Liebesbeziehungen gilt, ist das die Scheidung. Und die wäre schon belastend genug, ohne dass in Österreich im Gegensatz zu Deutschland nach wie vor neben dem Zerrüttungsprinzip auch das Verschuldensprinzip dominiert. Sie haben hier nämlich immer noch eheliche Pflichten zu erfüllen. Andernfalls machen Sie sich womöglich schwerer Eheverfehlungen schuldig, indem Sie beispielsweise aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen, sich lieblos verhalten, notorisch nörgeln, grundlos eifersüchtig sind oder sich nicht regelmäßig waschen. "Die Ehe ist ein Vertrag, der nicht einseitig aufgelöst werden kann", sagt die Zivilrechtsprofessorin Constanze Fischer-Czermak.

Aber genau das sollte er sein. Das mag Ihnen jetzt zu beliebig und unromantisch erscheinen, wie ich hier mal eben so fordere, es müsse ermöglicht werden, Eheanbieter:in bei schlichter Unzufriedenheit einfach kündigen oder wechseln zu können. Es ist aber dringend notwendig. Denn selbst wenn der Verfassungsgerichtshof in Österreich im Dezember 2017 auch "verschiedengeschlechtlichen Paaren" den Weg zu einer eingetragenen Partnerschaft freigemacht hat, ist die Ehe das präferierte Modell. Sie gilt als normal, romantisch, erstrebenswert. Die Zahl der Eheschließungen steigt nach einer Corona-Delle wieder an. Alles wie gehabt also, trotz Alternativmodells, das bei ehrlicher Betrachtung nicht als Alternative gedacht war, sondern als Beschwichtigungsversuch homosexueller Menschen mit ihrem legitimen Rechtsanspruch auf Ehe. Auf die Ehe wird weiter bestanden werden. Gerade weil das so ist, braucht es ein liberaleres Scheidungsrecht.

Andernfalls landen wir (wieder) da, wo konservative rechte Männer in den USA wie der politische Kommentator Steven Crowder gerade mit aller Macht hinwollen: zu der Möglichkeit, ihren trennungswilligen Ehefrauen die Scheidung zu verweigern.

Und damit auch wieder zu dem, was Expert:innen als "Intimterrorismus" bezeichnen. Denn nicht nur in den USA sind es mehrheitlich Frauen, die sich scheiden lassen wollen und die vom Prinzip der schuldlosen Zerrüttung einer Ehe durch sinkende Raten von Suizid und häuslicher Gewalt bis hin zu Mord profitieren. Liebe kann und darf auch nicht einvernehmlich enden. Auch und gerade in Ehen. (Nils Pickert, 11.7.2023)