Nehammer Kogler Ministerrat 
Viel zu sagen haben sie sich gerade nicht: Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) beim Ministerrat in der Vorwoche.
APA/ROLAND SCHLAGER

Werner Kogler hat einen interessanten Satz über die ÖVP gesagt: "Seit dem Abgang von Sebastian Kurz ist ein Selbstfindungsprozess im Gange." Da ist etwas Wahres dran. Die ÖVP kann sich gerade nicht entscheiden, ob sie die Mitte der Gesellschaft repräsentieren oder sich doch lieber am Rechtspopulismus anlehnen will. Das ist spannend zu beobachten. Leider ging dieser Satz unter im Getöse um einen anderen, den Kogler im selben Profil-Interview tätigte: Er zieh Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner des "präfaschistoiden Denkens". Diese lehnt etwa Klimaproteste ab und will auf diese Weise "normaldenkende" Wähler umwerben. Mehr braucht es nicht für einen zünftigen Shitstorm hüben wie drüben.

Die öffentliche Meinung teilt sich erwartbar in jene, die applaudieren – und jene, die empört aufschreien. Mikl-Leitner gab Kogler erwartbar Kontra, die jeweiligen Sympathisanten gruben sich schon mal eilig in ihre Lager ein – und am Ballhausplatz wird weitergewurstelt. Weil: Vorzeitige Wahlen will ja auch niemand, da schon lieber das schier Unüberbrückbare irgendwie überbrücken.

Was ist "normal"?

Tatsächlich strapaziert Mikl-Leitner die "Normaldenkenden" nicht von ungefähr. Die vergangenen Wahlergebnisse haben die politischen Ränder links und – vor allem – rechts gestärkt. Die Wahl von Andreas Babler, der seine Version von "Marxismus" pflegt, freut zwar das linksgerichtete Lager in der SPÖ, erschreckt aber nicht wenige Bürgerliche, die um das Haus der Erbtante fürchten.

Genau dort erhofft sich Mikl-Leitner für die ÖVP reiche Ernte. "Normale" Politik für "normale" Leute – "abseits von Gendersternchen und Klimaterrorismus", wie es in diesen Kreisen gerne heißt. Mikl-Leitner vergaß aber jüngst auch nicht, ihrem Koalitionspartner Udo Landbauer von der FPÖ einen Rempler zu geben. Dass dieser nicht damit leben könne, Stellvertreter einer Landeshauptfrau zu sein, lasse tief blicken, schrieb Mikl-Leitner sinngemäß in einem STANDARD-Gastkommentar.

Fischen im blauen Wählerteich

Abgrenzung also auch zu dieser Seite hin – freilich mit einem gewaltigen Schönheitsfehler: Man sitzt mit diesem politischen Rand am Koalitionstisch. Das macht das "Normale" zum Einfallstor für rechtes Gedankengut. Da wird dann auch als "normal" verkauft, wenn man Kinder zwingen will, am Schulhof nur noch Deutsch zu sprechen. Oder wenn man, wie Mikl-Leitners Parteikollege Karl Mahrer in Wien, die Standler auf den Wiener Märkten nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit in "gut" und "schlecht" unterteilt. Das macht auch die Rede von Bundeskanzler Karl Nehammer suspekt, in der er gegen das Gendern polemisierte. Das ist schon sehr offensichtliches Fischen im FPÖ-Wählerteich – und die Grenzen des Denkbaren und Sagbaren verschieben sich immer mehr.

All das hätte Kogler ausführen können. Doch so weit kam es nicht: Jetzt wird nur noch über seine Wortwahl diskutiert. Der kommende Wahlkampf könnte ein neuer Tiefpunkt der "fokussierten Unintelligenz", wie der Wiener Altbürgermeister Michael Häupl einmal sagte.

Die FPÖ wird gegen Dragqueens zu Felde ziehen, die ÖVP gegen den "Genderwahnsinn", die Grünen werden den Faschismus kommen sehen und die SPÖ wird Marxismus erklären. Inflation, Arbeitskräftemangel, Klimakrise? Ja eh. Die "Normal"-bürgerinnen und -bürger werden schon verstehen, dass es Wichtigeres für die Politik gibt. (Petra Stuiber, 11.7.2023)