Adelheid Wölfl aus Sarajevo

Milorad Dodik gestikuliert hinter einem Rednerpult.
Arbeitet an der Abspaltung der Republika Srpska: Milorad Dodik.
AP / Darko Vojinovic

Der beste Mann Putins auf dem Balkan, der völkisch denkende Sezessionist Milorad Dodik, der seit vielen Jahren versucht, den Staat Bosnien-Herzegowina zu zerstören, nutzt den Sommer, um dramatische politische und rechtliche Schritte zu setzen. Denn auch viele Diplomaten sind auf Urlaub, während Dodik als Präsident des Landesteils Republika Srpska in das Aufmerksamkeitsvakuum stößt und gleichzeitig die internationale Gemeinschaft vor sich hertreibt. Er will die Republika Srpska vom Staat Bosnien-Herzegowina abspalten.

Das Parlament der Republika Srpska (RS), in dem Dodiks Partei SNSD die Mehrheit hat, hat im Juni deshalb Gesetze beschlossen, wonach die Behörden in der RS die Entscheidungen des bosnischen Verfassungsgerichts nicht mehr umsetzen dürfen, was einen schweren Bruch der bosnischen Verfassung darstellt. Manche sprechen von einem Staatsstreich oder von einer Unabhängigkeitserklärung der RS. Das bosnische Verfassungsgericht ist eine der wichtigsten und zentralsten Institutionen des Staates Bosnien-Herzegowina. Weiters hat das RS-Parlament ein Gesetz beschlossen, wonach die Entscheidungen des Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft – zurzeit Christian Schmidt – nicht mehr im Amtsblatt der RS veröffentlicht werden dürfen.

Russische Interessen

Der Hohe Repräsentant hat die Aufgabe, das Friedensabkommen von Dayton aus dem Jahr 1995 zu überwachen und Bosnien-Herzegowina vor Angriffen von völkischen Nationalisten wie Dodik zu schützen. Deshalb geht Dodik nicht nur gegen gesamtstaatliche Institutionen vor, sondern eben auch gegen das Amt des Hohen Repräsentanten. In Banja Luka, dem Verwaltungszentrum der RS, wurde sogar ein Bild von Schmidt neben einem Bild von Hitler auf der Straße aufgehängt. Dodik erkennt den Hohen Repräsentanten Schmidt nicht in seiner Funktion an. Er arbeitet eng mit dem Kreml zusammen, seine politischen Entscheidungen sollten deshalb auch immer im Lichte der Interessen Russlands betrachtet werden. Und im Interesse des Kreml ist es sicherlich, die westlichen Mächte auch auf dem Balkan zu schwächen und zu provozieren.

Schmidt hat Anfang Juli die verfassungswidrigen Entscheidungen des RS-Parlaments für ungültig erklärt und zudem ein Strafgesetz erlassen, wonach jene Personen, die sich nicht an seine Entscheidungen halten, mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden können. Dies war eine Warnung an Dodik. Doch Dodik scherte sich nicht darum und verfügte als Präsident der Republika Srpska, dass die Entscheidungen des Hohen Repräsentanten nicht mehr im Amtsblatt der RS veröffentlicht werden dürfen. Die Direktorin des Amtsblatts der RS, Milka Devušić, trat zurück. Grund: Wenn sie die Entscheidung von Schmidt nicht veröffentlicht hätte, hätte sie wegen des neuen Gesetzes strafrechtlich belangt werden können.

Doch Dodik fand schnell eine andere Person, die den Posten von Devušić übernahm und bereitwillig seine Anweisungen befolgt. Die Situation spitzt sich also zu. Dodik tut so, als gäbe es gar kein Amt des Hohen Repräsentanten, er setzt sich über die Verfassung hinweg und bereitet weitere Schritte zur Zerstörung des Staates Bosnien-Herzegowina vor. Dodik erstattete sogar Strafanzeige gegen Schmidt, mit der Begründung, dass "dieser sich seit langem unbefugt mit den Angelegenheiten des Hohen Repräsentanten befasst, wofür es keine Entscheidung des UN-Sicherheitsrats gibt". Schmidt wurde nämlich – wegen des Widerstands des Kreml – nicht im UN-Sicherheitsrat bestätigt, sondern nur vom Friedensimplementierungsrat.

Angriff auf die Rechtsordnung

Im Hintergrund spielt auch eine Rolle, dass Dodik versucht, Druck aufzubauen, damit das ungeklärte Staatseigentum nicht dem Gesamtstaat zugutekommt, sondern an die Republika Srpska geht. Ganz offensichtlich versucht er, den Westen zu erpressen, nach dem Motto: Wenn ihr mir nicht mehr Geld gebt, zerstöre ich den Staat.

Der Grazer Völkerrechtler und Experte für die Verfassung von Bosnien-Herzegowina, Josef Marko, meint, dass die neuen Gesetze der RS und das Vorgehen von Dodik "der allervorletzte Schritt vor der Sezessionserklärung" sind. "Wenn eine Einheit sagt, dass die Gesetze der anderen Einheit, der man angehört, nicht mehr gelten, wird die gesamte Rechtsordnung, auf der die Entscheidungen der Verfassung beruhen, nicht mehr anerkannt." Marko spricht von einem "ius nulificandi", das ihn an jene Entscheidung des slowenischen Parlaments im Jahr 1990 erinnere, nach welcher die Bundesgesetze der Sozialistischen Föderation Jugoslawien als nicht mehr gültig bezeichnet wurden.

Laut der jugoslawischen Verfassung gab es allerdings die Möglichkeit, dass sich die Republiken für unabhängig erklären. Laut der Verfassung von Bosnien-Herzegowina gibt es diese Möglichkeit nicht. Marko erinnert auch daran, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwar den Aufruf zur Sezession im Rahmen der Meinungsfreiheit für zulässig erklärt, allerdings nicht den Aufruf zur Gewalt. Mit Meinungsfreiheit haben Dodiks Schritte auch nichts mehr zu tun, dieser verstößt aktiv gegen die Verfassung.

Christian Schmidt gestikuliert hinter einem Rednerpult.
Christian Schmidt kämpft um seine Autorität in der Republika Srpska.
EPA / Fehim Demir

Marko denkt, dass Schmidt Dodiks Partei SNSD wegen verfassungswidrigen Handelns verbieten könnte. Dies könnte zumindest kurzfristig für einen politischen Schock sorgen. Schmidt hätte auch die Möglichkeit, Dodik abzusetzen, aber er wagt dies offenbar nicht. Schmidts Strategie, die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit dazu zu bringen, die verfassungswidrigen Entscheidungen des Parlaments der RS nicht zu exekutieren, sind Marko zufolge "völlig richtig" – genauso wie es richtig gewesen sei, dass Schmidts Vorgänger, Valentin Inzko, die Leugnung von Kriegsverbrechen und die Verherrlichung von Kriegsverbrechern unter Strafe stellte.

Die große Frage, die nun alle in Bosnien-Herzegowina bewegt, ist jedoch, ob die bosnischen Institutionen in der Lage sind, die Entscheidungen des Hohen Repräsentanten umzusetzen. "Nur etwas für null und nichtig zu erklären hat so lange keine Wirkung, solange die Behörden nicht auch entsprechend vorgehen können", meint Marko. "Jeder, der gegen die Entscheidungen von Schmidt verstößt, müsste von den Strafverfolgungsbehörden verfolgt werden." Das angedrohte Strafausmaß mache es notwendig, dass sie einem Richter vorgeführt werden, so Marko.

Beamte im Loyalitätskonflikt

Am Wochenende gab die Staatsanwaltschaft von Bosnien-Herzegowina bekannt, dass wegen des Erlasses von Dodik ermittelt wird. Auch die staatliche Sicherheitspolizei SIPA ist in die Ermittlungen involviert. Weil die Behörden in der RS das Gegenteil von dem verlangen, was der Hohe Repräsentant beschlossen hat, werden die Beamten in der Republika Srpska indes durch Dodik in einen Loyalitätskonflikt gebracht.

Der US-Beauftragte für den Balkan, Gabriel Escobar, nannte Dodik "Putins größten Handlanger" und drohte mit neuen Sanktionen, falls die RS beschließen sollte, ein Unabhängigkeitsreferendum einzuleiten. Escobar räumte ein, dass ihn die Situation in Bosnien und Herzegowina in bestimmten Teilen an die Vorkriegssituation in den 1990er-Jahren erinnere. Eine weitere rote Linie wäre, wenn Dodik an den "Grenzen" der Entität Republika Srpska Kontrollen einführen würde.

Schmidt selbst meinte am Wochenende bei einer Veranstaltung in Dubrovnik: "Dodik geht immer weiter. Ich weiß nicht, welche Drogen er nimmt." Er fügte hinzu: "Ich muss sagen, dass er in einer Traumwelt lebt. Es wird keine Zugeständnisse bei der Verletzung des Friedensabkommens von Dayton geben. Das Verfassungsgericht, das eine der wichtigsten Institutionen des Landes ist, wird nicht vernichtet werden."

Doch Schmidt ist selbst geschwächt, weil er sich von der kroatisch-nationalistischen HDZ und dem US-Außenamt instrumentalisieren ließ und auf deren Wunsch in der Wahlnacht das Wahlgesetz änderte. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 11.7.2023)