Auch nach dem Nato-Gipfel von Vilnius bleibt das Schicksal der Ukraine ungewiss. Weder gab es klare Zusagen für die künftige Mitgliedschaft in der Nato noch handfeste Garantien außerhalb der Nato. Es bleibt abzuwarten, ob die Ukraine die dringend benötigte Waffensysteme rechtzeitig von der USA, Deutschland und Frankreich bekommen wird, um einen Durchbruch an der Front zu schaffen.

Entgegen manchen Erwartungen hat die gescheiterte Meuterei gegen Wladimir Putin bisher jedenfalls keine spürbare Wirkung beim Kampf der Ukrainer um die Befreiung ihres Territoriums gebracht.

Ukraine Krieg Schäden
Ein Bild der Zerstörung: Das Schicksal der Ukraine bleibt ungewiss.
EPA/Oleg Petrasyuk

Die von der US-amerikanischen Finanzministerin Janet Yellen angestrebte Verdoppelung der internationalen Finanzhilfe für die Ukraine ist zwar wichtig, kann aber ohne sichtbare militärische Erfolge das Vertrauen der Auslandsinvestoren kaum wiederherstellen.

Es geht aber auch um die Zuversicht der eigenen Bevölkerung. Laut einer repräsentativen Umfrage wollen 44 Prozent der mehr als einer Million Flüchtlinge aus der Ukraine länger oder für immer in Deutschland bleiben. Sollte Russland im Winter die Raketen- und Drohnenangriffe gegen städtische Wohnblöcke fortsetzen, würde das zweifellos die Zahl der Flüchtlinge in Polen (990.000) und in Deutschland weiter steigern. Pro Kopf der Bevölkerung gerechnet haben Estland und Tschechien die meisten Flüchtlinge aufgenommen.

Wettlauf gegen die Zeit

Trotz der Bewunderung für die mutigen ukrainischen Kämpfer könnte die wachsende Belastung durch die Flüchtlinge angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten den rechtsextremen Parteien, wie jetzt der AfD in Deutschland, einen mächtigen Auftrieb geben. Sie alle, von Deutschland bis Frankreich und Österreich, haben sich für Waffenstillstand in der Ukraine, also für die Bestätigung der russischen Eroberungen ausgesprochen. Bei dem Wettlauf gegen die Zeit hat die US-Präsidentenwahl im November 2024 eine entscheidende Bedeutung. Ohne die großangelegte militärische und finanzielle Hilfe seitens der Biden-Regierung hätte sich die Ukraine gegen die russische Übermacht kaum behaupten können. Sollten aber die Republikaner die Präsidenten- und Kongresswahlen gewinnen, werden die Karten auch bei der Ukraine-Hilfe neu verteilt werden.

Donald Trump, der haushohe Favorit als republikanischer Kandidat, hat schon im Mai bei einem öffentlichen Auftritt angekündigt, wäre er wieder Präsident, würde er in 24 Stunden dem Blutvergießen ein Ende setzen! Wie? Sicherlich durch einen für Putin günstigen Waffenstillstand nach einem Stopp der amerikanischen Rüstungshilfe.

Das angesehene Londoner Wochenblatt Economist hat in einer Titelgeschichte die düsteren Folgen der Wahl Trumps zum US-Präsidenten nicht nur für die Ukraine, sondern sogar für Europa (Auflösung der Nato) skizziert. Es muss allerdings nicht so kommen.

Trotz allem bleibt die Chance für die Ukraine intakt, durch massive und rechtzeitige Nato-Rüstungshilfe so starken Druck auf den Aggressor auszuüben, dass der auch innenpolitisch bedrängte Diktator im Kreml bereit sein wird, seine Beute in der Ukraine – oder den größten Teil davon – aufzugeben, um seine Herrschaft zu retten. (Paul Lendvai, 18.7.2023)