„Orfeo ed Euridice“
Christof Loy hat für die Salzburger Pfingstfestspiele "Orfeo ed Euridice" von Christoph Willibald Gluck inszeniert. Es ist auch im Sommer zu sehen.
SF / Monika Rittershaus

Der Beginn der Salzburger Festspiele? Der ist nicht so leicht zu bestimmen. Nach einer Woche Ouverture spirituelle und sechs Tage nach der Jedermann-Premiere geht es am Donnerstag auch offiziell los: mit dem Eröffnungsakt am Vormittag und der Premiere von Mozarts Figaro am Abend. Was man sonst noch wissen sollte:

Was sind die Highlights in der Oper?

Die Wahrheit liege auf dem Platz, heißt es im Fußball. Nichts anderes gilt auch für das Musiktheater. Man muss nur statt "Platz" "Bühne" einsetzen. Die Erwartungshaltung ist jedenfalls groß, nachdem im Regiebereich unweigerlich der Blick zurückschweift.

Den Figaro inszeniert Martin Kušej, der einst in der Ära Peter Ruzicka dem Don Giovanni mit Nikolaus Harnoncourt Glanz verlieh. Bei Falstaff wiederum inszeniert Christof Marthaler, der zu Zeiten von Gerard Mortier für Furore sorgte. Das ist zwar lange her, die Latten hängen aber in beiden Fällen hoch.

Frischer Wind ist zumindest bei den Dirigenten garantiert: Figaro leitet der 38-jährige Franzose Raphaël Pichon. Und der 37-jährige Maxime Pascal dirigiert Martinus Die griechische Passion als Beitrag zur klassischen Moderne, den – auch ein alter Bekannter – Simon Stone inszeniert.

Asmik Grigorian
Die Litauerin Asmik Grigorian singt wieder bei den Salzburger Festspielen, diesmal die Lady Macbeth.
APA/BARBARA GINDL

Besonderes könnte Macbeth bringen. Zwar musste Franz Welser-Möst wegen Erkrankung absagen (es dirigiert Philippe Jordan); in der Regie von Krzysztof Warlikowski gibt aber Asmik Grigorian ihr Debüt als Lady Macbeth. Sollte sie das Niveau ihrer Salzburger Salome erreichen, wird das ein Highlight. Ebensolche braucht Salzburg. Schließlich gilt es, die luxuriösen Rahmenbedingungen von Festspielen für Produktionen zu nutzen, die sich vom Alltag der Opernhäuser und von anderen Festivals abheben. Das wird durch das Festhalten an alten Bekannten nicht einfacher, Routine wäre für Salzburg tödlich.

Gibt es einen roten Faden durch das Programm?

Schwierig, am ehesten vielleicht Shakespeare. Als gedanklichen Rahmen hat Intendant Markus Hinterhäuser den Hamlet-Spruch "Die Welt ist aus den Fugen" gewählt. Immerhin basieren auch die beiden Verdi-Opern Macbeth und Falstaff auf Dramen von Shakespeare. Im Grunde aber geht es darum, dass sich Festspiele als künstlerischer Ausnahmezustand präsentieren. Insofern ist Qualität der geheime rote Faden – falls sie sich auch einstellt.

Wodurch zeichnet sich das Schauspielprogramm aus?

Die Rückkehr von Ulrich Rasche steht im Mittelpunkt von Bettina Herings letzter Saison als Chefin des Schauspielprogramms. 2018 hatte er mit den Persern das Landes- zum Maschinentheater gemacht, jetzt wuchtet er Nathan der Weise auf die Bühne der Pernerinsel. Hinterfragt werden nichts weniger als die Kernthemen der Aufklärung. Diese werden auch in den anderen Produktionen abgeklopft, die in Kooperation mit deutschen Stadttheatern entstehen, aber in Salzburg Premiere haben, ob in der Bühnenfassung von Hanekes Film Amour oder in der Dramatisierung des Romans Die Wut, die bleibt von Mareike Fallwickl.

Weitere Premieren: Erstmals schaffen es das inklusive Ensemble von Theater Hora (mit dem Kaukasischen Kreidekreis) und eine Tanzperformance (Into the Hairy) ins Programm. Kommendes Jahr übernimmt dann Marina Davydova die Programmierung. Sie hat eine stärkere Internationalisierung des Schauspiels versprochen.

Warum schon wieder ein neuer Jedermann?

Glaubt man Regisseur Michael Sturminger, dann war er es, der das Weiterwirken von Max Reinhardts Regiehandschrift auf dem Domplatz endgültig beendete. Mittlerweile ist der Wiener Regisseur bei seiner dritten Neuinszenierung des Jedermann angekommen. Radikal anders ist zwar auch diesmal wenig, Deutungsverschiebungen gibt es aber sehr wohl. Letztere sind allerdings weniger der Grund, warum nach dem Duo Eidinger/Altenberger jetzt Maertens/Pachner dran sind. Erstens wollen sich die meisten Schauspieler nicht längerfristig an Salzburg binden, zweitens braucht man immer wieder einen neuen Hype. Die Geldmaschine Jedermann darf nicht ins Stottern geraten, das würde die Festspielfinanzen belasten.

Michael Maertens und Valerie Pachner im
Dieses Jahr spielen Michael Maertens und Valerie Pachner die Hauptrollen im "Jedermann".
APA/BARBARA GINDL

Überschattet Schwarz-Blau den Festspielsommer?

Das ist die Frage, die sich spätestens zur Festspieleröffnung kommende Woche klären wird. Seitdem Schauspieler Cornelius Obonya dazu aufgerufen hat, zu Beginn der Festspielrede von Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) die Felsenreitschule zu verlassen, fliegen in Salzburg die Hackeln tief.

Intendant Markus Hinterhäuser warf in einem STANDARD-Interview dem ehemaligen Jedermann-Darsteller "bemerkenswerte gedankliche Schlichtheit" vor und sprach sich gegen die immer gleichen Rituale aus, die bei einer FPÖ-Regierungsbeteiligung einsetzten. Diese seien "abgenutzter Aktionismus", er vertraue Haslauer, der in Salzburg mit den Freiheitlichen koaliert.

Essayist Franz Schuh ortete (ebenso im STANDARD) eine "unangebrachte Polemik" und Wadlbeißerei. Könnte sein, dass es bei diesem Schlagabtausch bleibt. Vielleicht formiert sich aber auch rund um die Eröffnung die Künstlerschaft und/oder die Zivilgesellschaft zum Protest. Oder wird der Eröffnungsredner, Nobelpreisträger Anton Zeilinger, ein verbales politisches Statement setzen?

Warum hält man in Salzburg an Currentzis fest?

Die Aufregung um Teodor Currentzis ist im Zuge zahlreicher Absagen und Ausladungen zwar abgeklungen, in Salzburg darf der Dirigent, dem Putin 2014 die russische Staatsbürgerschaft verlieh, aber weiter auftreten. In Sankt Petersburg dirigiert Currentzis das unter der Patronanz des Regimes stehende Orchester MusicAeterna, im Westen genießt er unterdessen die Ovationen für sein Utopia-Orchester.

Als Bewohner zweier einander ausschließender Systeme gibt Currentzis den Künstler, den die politische Realität nicht in moralische Widersprüche stürzt. Noch immer gibt es von ihm keine Statements zu Angriffskrieg, Regime oder Putin. Stattdessen lässt er sich in Russland bei Tourneen feiern. Das hat selbst das Wiener Konzerthaus, das lange an Currentzis festhielt, dazu bewogen, ihn nicht mehr zu engagieren. In Salzburg sieht man es anders, hier darf er Purcell und Mozart dirigieren.

Gibt es das Salzburger Starprinzip noch?

Es gab Zeiten, da durften sich Sänger die Opern aussuchen, in denen sie auftreten wollten. Stichwort Ära Jürgen Flimm. Die Unterordnung unter diese Art von Starprinzip gibt es nicht mehr. Stars werden in Salzburg zwar gemacht, jedoch eher zufällig und auf Basis von Qualität. So explodierte in Salzburg 2002 die Karriere von Anna Netrebko. Und auch Asmik Grigorian kann sich nach ihrer Salome ihre Rollen aussuchen. Manchmal gehen kommende Stars aber auch im Tumult unter. So hörte man Jonas Kaufmann 2002 in Stefan Herheims Skandal-Inszenierung von Mozarts Entführung. Zum Star wurde damals allerdings der Regisseur, nicht Kaufmann. (Ljubiša Tošic, Stephan Hilpold, 22.7.2023)