Im Gastblog plädiert Bernhard Jenny für die Klärung des Kulturbegriffs und dafür, dass Kunst die Realität der Gesellschaft wahrnimmt.

Der Aufruf von Cornelius Obonya anlässlich der Bildung einer Schwarz-Blau-Koalition im Land Salzburg, zu Beginn von Landeshauptmann Wilfried Haslauers Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen die Felsenreitschule zu verlassen, hat vor einigen Wochen den Intendanten Markus Hinterhäuser aus der Reserve gelockt. In einem beeindruckend gekränkten Wording reagiert er auf den ehemaligen Jedermann Obonya. Dessen Aufruf sei für ihn, so Markus Hinterhäuser in einem Interview mit dem STANDARD im Juni, "von einer bemerkenswerten gedanklichen Schlichtheit", er ordnet Proteste gegen die FPÖ als "abrufbaren, (...) ziemlich abgenutzten Aktionismus" ein und spricht von "ewig gleichen Empörungsritualen" und "Pawlowschen Reflexen".

FPÖ-Chefin Marlene Svazek und ÖVP-LH Wilfried Haslauer
FPÖ-Chefin Marlene Svazek und ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer.
APA/BARBARA GINDL

Da muss schon viel innere Empörung mitschwingen, wenn ein sonst eher für seine Vorsicht und Besonnenheit bekannter Festspielintendant derartig ausflippt. Das soll vielleicht jene, die tatsächlich Protestaktionen planen, einschüchtern, ist aber eines hochrangigen Kulturmanagers nicht würdig. Dennoch, das Wording in dem damaligen Interview ist nicht das Bedenklichste.

Hinterhäuser kann einerseits dem Vorhalt, dass der rassistische, antihumanistische Diskurs der FPÖ wohl diametral dem Gründungsgedanken von Hugo von Hofmannsthal entgegensteht, nicht widersprechen und gibt zu, dass auch ihm die FPÖ "in allem fremd, (...) unsympathisch und (...) zuwider" sei, zieht sich aber dann auf einen realpolitischen Fakt zurück: "Die Kultur liegt bei Wilfried Haslauer und Stefan Schnöll und ist dort gut aufgehoben. (...) Ich wüsste auch nicht, wo oder wie die FPÖ (...) Einfluss auf die Salzburger Festspiele nehmen könnte."

Welch Kulturbegriff!

Wie soll diese Aussage verstanden werden beziehungsweise wie muss sie aufgefasst werden? Etwa: Mag doch die FPÖ in ihren Zuständigkeiten tun und lassen was sie will, solange sie die Hochkultur in Ruhe lässt, ist alles in Ordnung?

Wird hier die Festspielkultur als ein abgekoppeltes Etwas verstanden, das nichts mit dem gesellschaftlichen Leben als Realität zu tun hat? Sollte es den gefeierten Künstlerinnen und Künstlern auf großer Weltbühne völlig egal sein, was im Leben der Menschen stattfindet, die mit ihren Steuern diese Prachtshow ermöglichen? Genügt sich die Hochkultur nun doch wieder selbst?

Kann es einem Festspielintendanten egal sein, wie es den Menschen, die in Salzburg leben, mit Schwarz-Blau ergeht?

Wenn Frauen Kinder austragen sollen, ob sie wollen oder nicht, und dadurch die Selbstbestimmung den Frauen genommen wird, ist das egal, solange ein Solokonzert abgefeiert werden kann?

Wenn Frauen zu Hause bleiben und Kinder hüten sollen und ihnen dadurch die Gleichstellung verwehrt wird, lässt das einen Festspielintendanten kalt, solange die internationale Prominenz rekordverdächtig Karten kauft?

Wenn Sozialleistungen an deutsche Sprachkenntnisse gebunden werden und dadurch Erstsprachen einfach entwertet werden, müssen wir das unaufgeregt hinnehmen, weil Jedermann neuinszeniert sterben geht?

Wenn Wohnungen rassistisch vergeben werden, wodurch Menschen, die unsere Gesellschaft mittragen, zu Entrechteten werden, kann uns das egal sein, solange Verdis "Falstaff" uns begeistert?

Wenn gegen Menschen Hetzende nun ausgerechnet für deren Integration zuständig sind und dadurch der blanke Zynismus zur höhnischen landespolitischen Linie wird, ist das in Ordnung, solange "Helene Thimigs Briefwechsel mit Max Reinhardt im Exil" uns an andere Zeiten erinnert?

Wenn also der Rechtsextremismus mitregieren kann und dadurch die Erfahrungen der letzten 100 Jahre negiert werden, bleiben wir dennoch gelassen, weil die Arie im Haus für Mozart einfach betörend war?

Wird das Erbe Gerard Mortiers zerstört?

Hier ist dringend die Klärung des Kulturbegriffs gefordert. Kunst als sich selbstbefriedigende Höchstperformance, die mit der Realität der Gesellschaft nicht nur nichts mehr zu tun haben will, sondern sich auf ein gesichertes Luxusinselchen zurückzieht, sollte eigentlich kein öffentliches Anliegen sein.

Ausgerechnet Gerard Mortier, der seinerzeitige Mentor des jungen Hinterhäuser, hat sich in den neunziger Jahren stets gegen eine abgeschottete und von der aktuellen Gesellschaft entkoppelte Kultur gewandt. Die radikale Öffnung der Hochkultur für ein jüngeres Publikum war sein Anliegen, und er trieb dieses mit lustvoller Vehemenz voran. Es waren Jahre, in denen viele "neue Zielgruppen" mitunter begeistert, manchmal fasziniert und irritiert zugleich waren, aber stets gerne die neuen Impulse bei den Festspielen miterlebt haben. Das Festival wurde mutig auf das 21. Jahrhundert ausgerichtet.

Zurück ins vergangene Jahrhundert?

Es hat den Anschein, dass Hinterhäuser nichts von irgendwelchen Protesten hält, solange – mit oder ohne FPÖ – die Produktionen der Hochkultur gesichert werden. Dabei kann es ihn anscheinend nur sehr wenig kümmern, wer sonst noch in unserer Gesellschaft lebt und nicht auf exklusiven Schutz durch Haslauer und Schnöll hoffen kann.

Ein Festival, dessen Intendant in seltener Weise die Auffassung von Kultur als Geschehen fernab der Lebensrealitäten großer Bevölkerungsgruppen offenlegt, könnte dieses um ein Jahrhundert zurück katapultieren.

Bleiben die Fragen zum Eröffnungsfest am Donnerstag: Wird der Aufruf Obonyas Wirkung zeigen? Wie viele verlassen die Felsenreitschule beim Auftritt Haslauers? (Bernhard Jenny, 24.7.2023)