Bariton Matthias Goerne und Pianist Alexander Schmalcz
Schicksalsergebenheit, in Noten und Verse gepresst: Bariton Matthias Goerne und sein kongenialer Begleiter Alexander Schmalcz erklimmen gemeinsam Gipfel der Liedkunst.
SF/Marco Borrelli

Der alte Goethe in Weimar – und wie er Post mit Liedvertonungen von Franz Schubert kommentarlos zurückschickt. Wie brave Melodie, ganz dem Versmaß untertan, das Ideal des Dichtergenies in Sachen Gedichtvertonung gewesen sei: Diese Geschichten stehen in jedem Programmheft zu einem Liederabend, an dem auch nur ein Schubert/Goethe-Lied gesungen wird.

Schubert wiederholt "Text". Strophen. Verse. Einzelne Zeilen wieder und wieder. Das Radikale dieser Textbehandlung kommt in der Interpretation heraus: Das machten der Bariton Matthias Goerne und der Pianist Alexander Schmalcz dramatisch deutlich. Goerne gibt jeder Wiederholung eine eigene Farbe. Setzt noch eins drauf, wenn das lyrische Ich längst am Versinken, Ertrinken ist. Gibt scheinbaren Wendungen ins Positive beunruhigend dunkle, dem endgültigen Untergang verführerisch lichte Farben. Alexander Schmalcz bot als Mitgestalter am Klavier dem Sänger die fein-differenzierte Basis in allen Gefühlslagen.

Federleichte Dramatik

Das so bekannte Lied Wer nie sein Brot mit Tränen aß, der zweite der drei Gesänge des Harfners aus Wilhelm Meister D 478–480, war ein Stück Reality-TV existenzieller Not. Denn jede Schuld rächt sich auf Erden: Jede Wiederholung dieser Zeile ließ das Bild der ominösen "Schuld" schwärzer und schwärzer erscheinen, ohne dass Goerne in Lautstärke oder Dramatik aufdrehte. Den Fernseher kann man abdrehen.

Von stupender Virtuosität waren etwa die vielen federleicht gesungenen Wendungen hinauf in die höchste Lage im formal schlichten, aber streng gebauten Lied Des Fischers Liebesglück D 933 (nicht Goethe, sondern Karl Gottfried von Leitner). Auf einen Atem gesungen jeweils die elf siebenzeiligen Ein- oder Zweiwort-Strophen. Immer noch leichter werdend und leiser. Mit Verdacht lauschte man Goerne: Dieses seelige Paar weilt längst nicht mehr auf Erden.

Jede Nummer ein Drama

Sehr Bekanntes (Der Wanderer D 489, Der Winterabend D 938 oder Der liebliche Stern D 861) und nicht so Gängiges (Schatzgräbers Begehr D 761 oder Das Heimweh D 851) woben Goerne/Schmalcz zu einem betörenden Reigen aus Einsamkeit, Sehnsucht (Untergruppe Todessehnsucht) und Verzweiflung. Durchzogen von einem Motiv philosophischer Schicksalsergebenheit, wie etwa in der federleichten Pilgerweise D 789.

Rein technisch war an diesem bewegenden Abend nicht alles "perfekt". Einige Texthänger sowie mehrere fehlende Konsonanten und damit fehlende Textverständlichkeit wurden vermerkt. Nicht mehr.

Jede Nummer ein Drama, sei’s in Tod oder Verklärung. Dazu neue Sichtweisen auf rezitativisch (Fahrt zum Hades D 526) oder kontrapunktisch (Schatzgräbers Begehr D 761) dominierte Lieder. Ein Schubert-Abend als Sternstunde. (Heidemarie Klabacher, 11.8.2023)