Dass die Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) ähnliche Folgen haben wird wie die industrielle Revolution oder die Digitalisierung, lässt sich weder bestreiten noch verhindern. Das ist auch gut so, denn wie alle technischen Errungenschaften bringt auch KI weit mehr Chancen als Risiken mit sich. Bereits heute gibt es zahlreiche Beispiele, etwa in der Pharmazie, wo sie das Erforschen neuer Wirkstoffe beschleunigt.

Wenn etwas Wirkung auf den Betrachter oder die Zuhörerin auslöst, ist es egal, wer oder was den Kunstgegenstand produziert hat.
IMAGO/Mario Aurich

Andererseits muss man kein Zyniker sein, um zu prophezeien, dass KI auch missbraucht werden wird. Es wäre ein Wunder, wenn Menschen die neuen Möglichkeiten nicht auch dazu nutzen würden, anderen Menschen Schaden zuzufügen, und sie für Betrug, Bereicherung oder Kriege einsetzen würden.

Wenn die Politik das Gute geschehen lässt und, wo nötig, halbwegs intelligent eingreift, wird das ein besseres Leben für die Menschen. (Wermutstropfen: Das gilt auch für militärische Anwendungen, und das ist politisch schwieriger zu bewältigen.)

Und wie steht es mit KI in der Kunst?

Keine Bedrohung

Kunst ist seit jeher imitierbar und wird seit jeher imitiert. Gemäldefälschungen gibt es, seit es Gemälde gibt. Es war bereits vor KI kein Problem, Mozart oder Bach so zu imitieren, dass nur Spezialisten das erkennen konnten.

Die Kunst als solche ist dadurch nicht bedroht, da Kunst in der Wirkung auf den Betrachter oder die Zuhörerin besteht: Wenn etwas diese Wirkung auslöst, ist es egal, wer oder was den Kunstgegenstand produziert hat.

Die Imitation von Kunst mithilfe von KI bietet auch viel Reiz, wenn sie zum Beispiel die Grundlagen der Musik analysiert und zu immer neuen Varianten kombiniert. Das kann spannend zu spielen und interessant zu hören sein.

"Kunst ohne Menschen" bleibt allerdings in dem gefangen, was Menschen bereits an Kunst geschaffen haben. KI-Kunst bleibt Imitat, also Kitsch. Kitsch ist die Domäne von KI.

Menschlicher Schöpfungsprozess

Aber es gibt eine Ausnahme: die diversen Avantgarden. Sie haben den Wahrnehmungsraum der Menschen erweitert, diesen zu Gehör/Gesicht gebracht, was sie nie so gehört/gesehen haben, sodass ihre Wahrnehmung der Welt sich insgesamt verschoben hat. Avantgardistische Werke sind natürlich imitierbar, aber die Imitation ist nicht mehr avantgardistisch, da sie keine neuen Auswirkungen auf die Wahrnehmung mehr hat.

Nicht imitierbar ist der avantgardistische Schöpfungsprozess: Es bedarf einer menschlichen Existenz, um die Grenzen der Wahrnehmung zu verschieben. Beliebige, mehr oder minder zufallsgenerierte Variationen können das nicht. Sie bleiben Imitate.

"Die Metamorphose des Politischen und Gesellschaftlichen in Kunstobjekte, die Spiegelung gesellschaftlicher Strömungen, eine Zeitzeuginnenschaft – das kann KI nicht umsetzen, dafür kann sie aber manipulieren", sagt die Schriftstellerin und Autorin Julya Rabinowich.

Die Frage ist nun: Muss Kunst weiterhin die Grenzen der Wahrnehmung verschieben? Als moderner Mensch und Europäer ist man versucht zu sagen: Wir brauchen das. Es wird Fortschritte in der Technik, in der Wissenschaft, im Alltag geben, die veränderte Wahrnehmung geradezu erzwingen. Wir brauchen weiter Künstler als Avantgarde. (Veit Dengler, 14.8.2023)