Festspiele Intro the hairy
Wie in den Faltbildern Hermann Rorschachs formen vier Tänzer und drei Tänzerinnen auf der Perner-Insel amorphe Gebilde, in denen der Mensch der Individualität beraubt ist.
Katharina Jebb

Nur selten löst sich einer der Körper aus der sich ineinander verknäuelnden Gruppe. Ein Alleingang im Takt der elektronischen Musik, der aber nach wenigen Momenten schon wieder vorbei ist. Dann reiht sich das dunkle Wesen wieder in die ruckartigen Bewegungen dieses amorphen, aus unzähligen Armen und Beinen bestehenden Grüppchens ein.

Es sind nur sieben Tänzerinnen und Tänzer, die im fahlen Licht der Halleiner Perner-Insel eine Dramaturgie ohne scheinbare Höhepunkte absolvieren. Balancierend auf Zehenspitzen, scheinen sie Teil des pochenden Beats des englischen Elektronikmusikers Koreless zu sein, der für die jetzt bei den Salzburger Festspielen gastierende Tanzperformance Into the Hairy des israelischen Duos Sharon Eyal und Gai Behar die Musik komponiert hat.

Es sind die kleinen Variationen, die die nicht einmal 50 Minuten dauernde Tanzperformance strukturieren. Wie sich unaufhörlich verändernde Rorschach-Faltbilder formen die drei Frauen und vier Männer Gebilde, in denen der Einzelne seiner Individualität beraubt ist. Nur manchmal huscht eine Emotion über eines der Gesichter. Die dunklen Haare streng nach hinten gegelt, die Augen mit viel Make-up abgedunkelt, sind sie Wesen, die auch einem Gemälde von Egon Schiele oder Gustav Klimt (Tod und Leben) entstammen könnten. Arme und Beine verdreht, den Kopf zur Seite gekippt, erinnern sie aber auch an posthumane Körper, wie sie gerne in der Science-Fiction gezeigt werden, die sich ihrerseits am Formenreichtum der Natur bedient.

Eigenwillig und einzigartig

Mit ihrer genauso eigenwilligen wie einzigartigen Tanzsprache hat die L-E-V Dance Company in den vergangenen Jahren die europäischen Tanzbühnen erobert und dabei die Inspiration von Kreativen aus ganz anderen Genres angeregt. Eine von ihnen ist Maria Grazia Chiuri, einflussreiche Chefdesignerin von Dior, mit der Eyal und Behar bei einigen Modeschauen kooperierten. Für Into the Hairy steuerte Chiuri die Kostüme bei, filigrane, aber zerschlissene dunkle Spitzendresse, die wie Uniformen die Unterschiede zwischen den Performern nivellieren.

Sie treibt damit wortwörtlich ein Element auf die Spitze, an dem sich auch die Choreografen abarbeiten. Die Synchronität des Balletts wird bei Into the Hairy nämlich gleichermaßen verstärkt – wie durch die Hereinnahme gänzlich anderer, dem Dancefloor wie dem Modern Dance entlehnter Moves gebrochen.

So etwas wie eine Geschichte wird dabei nicht erzählt, oder genauer gesagt: Es werden tausend kleine Episoden angerissen, die aber keinen Erzählstrang ergeben. Die Formation einer Reihe, der gegenseitige Griff zum Ohrläppchen oder ein angedeuteter Pas de deux eröffnen Assoziationsräume, die weitergesponnen werden könnten, es aber nicht werden.

Im Vordergrund stehen stupend virtuose tänzerische Variationen, die treffsicher eine dystopische und zutiefst dunkel grundierte Gefühlswelt aufrufen, in der der Mensch seiner Humanität entkleidet ist. Das entlässt einen nach einem verstörenden Schlussbild zwar um keinen Deut optimistischer, aber freudig erregt, dass es bei den Festspielen nach Jahren tänzerischer Tristesse eine verstörend aktuelle Tanzposition ins Programm geschafft hat. (Stephan Hilpold, 18.8.2023)