Nehammer Kurz Prozess Wahlkampf
Nehammer und Kurz: Der Prozess wird eine Prüfung für den jetzigen ÖVP-Chef – er muss gegenüber dem Vorvorgänger ein glaubwürdiges Profil entwickeln.
APA/HERBERT NEUBAUER

Karl Nehammer kann die Entscheidung der Justiz, seinen Vorvorgänger und Mentor im Oktober anzuklagen, wohl nur begrüßen. Nicht etwa, weil nun "für alle betroffenen Personen die Möglichkeit der Aufklärung besteht", wie der Kanzler und ÖVP-Chef betont. Sondern vor allem, weil nun feststeht: Sebastian Kurz ist für ihn, Nehammer, keine Konkurrenz bei der kommenden Nationalratswahl.

Kurzens juristische Kalamitäten werden wohl, bis in die letzte Instanz, das kommende Jahr überdauern – damit fällt er für etwaige Rettungs- und Erweckungsträume innerhalb der ÖVP aus. Diese Klarheit bestand bisher nicht, trotz Kurz' Beteuerung, er plane keine Rückkehr in die Politik. Kurz steht gerne in der Öffentlichkeit, wie etwa jüngst sein öffentlichkeitswirksamer Empfang bei den Salzburger Festspielen zeigte. Oder seine rege Social-Media-Aktivität. Oder die Tatsache, dass er längst wieder einen Großteil seiner Vertrauten um sich geschart hat. Dazu gesellt sich ein stabiles Umfragetief für die ÖVP insgesamt und für Nehammer im Besonderen. Da könnte so manch einer auf Ideen kommen, wenn er an glorreiche Wahlsiege der ÖVP unter Kurz denkt.

Mehr als Kurz-Kurs gefragt

Diese Art türkiser Nostalgie ist Geschichte, die ÖVP muss und wird ihren Wahlkampf mit Nehammer als Spitzenkandidat planen. Erste Vorarbeiten sind geleistet, mit der Nominierung von Bernhard Ebner zum Wahlkampfmanager hat sich Nehammer einen Vollprofi aus Niederösterreich ins Team geholt. Die Frage ist freilich: Wird es Nehammer gelingen, ein neues, sein eigenes Profil zu entwickeln? Oder wird er biederer Exekutor des rechtspopulistischen Kurz-Kurses mit weniger Bling-Bling und mehr Hoppala-Potenzial sein?

Derzeit spricht einiges für letzteres, wenn man etwa Nehammers jüngste Social-Media-Auftritte betrachtet. Klimakleber versus Autofahrer, Bargeld in die Verfassung, Inländer gegen Ausländer: Einer Partei, die den Kanzler-Anspruch stellt, muss mehr einfallen, als Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen.

Teuerung, Wirtschaftsflaute, Klimakrise, digitale Revolution – die Herausforderungen sind wahrlich nicht klein. Zu all dem muss Nehammer vermitteln, dass er einen Plan hat – und die Menschen müssen ihm glauben, dass er ein ehrlicher Makler seiner eigenen Politik ist. Dass es um das beste für das Land geht – nicht um Machterhalt, Postenschacherei und Klientelpolitik für ÖVP-Unterstützer.

Kampf um Glaubwürdigkeit

Insofern ist der Prozess gegen Kurz natürlich heikel für die ÖVP. All die im Raum stehenden diesbezüglichen Vorwürfe werden wieder laut, einmal mehr wird beleuchtet, dass Kurz im Wahlkampf "neu Regieren" versprochen hat – um als Kanzler das Gegenteil zu tun. Das hat viel zum schlechten Image der Politik in Österreich beigetragen und ist eine Hypothek für Nehammer und die ÖVP. Spannend wird zudem, ob man in der Volkspartei der Versuchung widerstehen wird, im Zuge des Kurz-Prozesses die Unabhängigkeit der Justiz in Zweifel zu ziehen und Stimmung gegen Einzelne zu machen. Kurz selbst war diesbezüglich ein unrühmliches Vorbild, er hat das in der Vergangenheit wiederholte Male getan, bedenkenlos ohne Skrupel gegenüber dem Rechtsstaat. Für Nehammer und die ÖVP wird der Kurz-Prozess eine Prüfung in vielerlei Hinsicht. Nicht nur im Hinblick auf die Wahlen darf man gespannt sein, wie die Partei und ihr Chef damit umgehen. (Petra Stuiber, 19.8.2023)