Unehrlich oder naiv? Oder geht doch alles mit rechten Dingen zu? Es gehört zum Kanon der Sanktionen der Europäischen Union, wegen des Angriffs Russlands auf die Ukraine keine Geschäfte mit Moskau zu machen. Doch genau das wird dem Ehemann der estnischen Regierungschefin Kaja Kallas nun vorgeworfen: Arvo Hallik habe Geschäftsverbindungen zu einem Logistikunternehmen, das wiederum für einen estnischen Kunden in Russland arbeite – und damit verstoße Hallik gegen die EU-Sanktionen. Das weist die seit 2021 im Amt befindliche Ministerpräsidentin des baltischen Landes zurück: Die Firma ihres Ehemanns mache keine Geschäfte mit Russland.

Kaja Kallas und ihr Ehemann Arvo Hallik
Kaja Kallas und ihr Ehemann Arvo Hallik stehen im Zentrum massiver Kritik.
AP Photo/Pavel Golovkin

Die Vorwürfe entstanden, als ein Bericht veröffentlicht wurde, wonach eine Spedition, an der Geschäftsmann Hallik beteiligt ist, "nichtsanktionierte Güter" nach Russland transportiere. Ihr Ehemann habe ihr erklärt, dass sein Unternehmen im Einklang sowohl mit den estnischen Gesetzen als auch mit den gegen Russland verhängten Sanktionen agiert habe und agiere, sagte die Vorsitzende der liberalen Estnischen Reformpartei.

Weder ihr Mann noch die betreffende Firma Stark Logistics hätten Kunden in Russland, sagte Kallas dem estnischen Rundfunk. Sie hätten lediglich einem estnischen Kunden geholfen, seine Aktivitäten in Russland "im Einklang mit dem Gesetz und den Sanktionen" zu beenden. Sie sei "absolut sicher und zuversichtlich", dass die Unternehmen ihres Mannes keine unmoralischen Aktivitäten setzen würden, so Kallas laut der "Berliner Zeitung".

Nur eine Fabrikschließung?

Stark Logistics habe Waren von einem estnischen Kunden aus Russland zurückgesendet. Dieser wolle dort eine Fabrik schließen, die dafür nötigen Lastwagen würden nicht einmal Treibstoff in Russland kaufen. Stark Logistics sagte seinerseits dem Sender, alle seine Geschäfte seien rechtmäßig und im Einklang mit den Sanktionen gewesen und hätten Russland in keiner Weise geholfen. Kritik wurde dennoch laut, weil die Geschäftsführung keine Details nennen wollte.

Staatspräsident Alar Karis forderte die Regierungschefin indes zur Aufklärung auf. "Es ist ein wenig traurig, über dieses Thema zu sprechen, wenn wir heute den Unabhängigkeitstag der Ukraine feiern", sagte er am Donnerstag. "Aber ich glaube, dass die Gesellschaft Erklärungen von der Regierungschefin erwartet."

Die Opposition äußerte sich da schon direkter und vehementer und forderte den Rücktritt Kallas‘. Der Ruf Estlands stehe auf dem Spiel. Auch estnische Medien wollten von Kallas Klarstellungen.

Für Kallas ist die Affäre jedenfalls äußerst unangenehm. Die liberale Politikerin gilt als eine entschiedene Unterstützerin der Ukraine und ihres Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Als Baltin wisse sie, was es heiße, von Moskau Druck zu erleben, erklärte sie – so wie ihre Amtskollegen in den anderen ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken Lettland und Litauen – wiederholt. Aus diesem Grund hat Kallas immer wieder zur wirtschaftlichen Isolation Russlands aufgerufen. Seit Kriegsbeginn profiliert sie sich international als entschiedene Befürworterin von EU-Sanktionen gegen Moskau und für Waffenlieferungen an die Ukraine. (red, 25.8.2023)