Schulstart in Ostösterreich
In Wien, Niederösterreich und dem Burgenland beginnt am Montag für 502.000 Kinder und Jugendliche die Schule, 42.500 Volksschüler werden in diesen drei Bundesländern zum ersten Mal im Klassenzimmer Platz nehmen.
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Es geht wieder los. Für rund 502.000 Kinder und Jugendliche in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland startet das neue Schuljahr. Schülerinnen und Schüler im Rest Österreichs haben noch eine Woche Zeit, bis sie in die Klassen zurückkehren.

Während noch nicht alle der rund 97.000 Taferlklasslerinnen und Taferlklassler in Österreich Noten erhalten werden, wird es für die Älteren ernst: Lehrende müssen spätestens im Jahreszeugnis der zweiten Schulstufe Ziffern vergeben. Davor kann die Leistung auch anders bewertet werden – etwa in Feedback-Gesprächen mit den Erziehungsberechtigten. Bis zur Pädagogik-Reform 2018 waren Noten erst in der vierten Klasse Pflicht. Aus dem Bildungsministerium heißt es aber, dass schon damals vor allem in den ersten beiden Schulstufen alternative Beurteilungen gewählt wurden.

Eigener Weg

Einen eigenen Weg wählt die ILB, die Integrative Lernwerkstatt Brigittenau. Rund 400 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sechs und 15 Jahren besuchen die öffentliche Ganztagsschule der Stadt Wien. Noten gibt es hier zwar auch, aber kaum jemand sieht sie. Da sie verpflichtend sind, werden sie ins Schulverwaltungsprogramm eingetragen und ein Zeugnis hinterlegt. Bei Bedarf können Erziehungsberechtigte Einsicht nehmen.

Nur wollen das die Eltern gar nicht, sagt Schulleiterin Karin Feller. Anstatt einer Ziffer von Eins bis Fünf erhalten sie einen mündlichen Bericht – jedes Jahr sind zwei Gespräche zwischen Lehrkraft, Erziehungsberechtigten und Kind angesetzt, um Lernmaterial und Projektarbeiten zu präsentieren sowie über den Lernfortschritt zu sprechen. Und darüber, was gut und was weniger gut funktioniert. "Es geht darum, die Lernfortschritte in den Mittelpunkt zu stellen", sagt Feller. Sie findet, Noten "behindern eher das Lernen, als dass sie es fördern", sie würden Eltern und Kinder unter Druck setzten – gerade dann, wenn es um den Übertritt ins Gymnasium geht.

Eintrittskarte mit Druck

Gute Noten seien "in unserem Gesellschaftssystem eine ‚Eintrittskarte‘ für die weitere Bildungskarriere", betont auch Bildungspsychologin Christiane Spiel von der Universität Wien – zum Beispiel, um ins Gymnasium aufzusteigen. So entstehe Druck auf die Kinder, dass sie gute Noten bekommen, der häufig von den Eltern ausgehe. "Damit wird jedoch primär für Noten gelernt und weniger, um etwas zu können", sagt Spiel.

Insbesondere in den ersten Schuljahren sei es wichtig, "Kinder nicht zu entmutigen, sondern die Freude am Lernen zu fördern oder zumindest aufrechtzuerhalten", sagt Spiel. Kleine Kinder seien "zumeist sehr optimistisch, was ihre Leistungen betrifft". In der Schule erlebe jedoch ein Teil von ihnen, dass sie nicht alles können und andere erfolgreicher sind. "Während Erfolge die Lernmotivation erhöhen, nimmt sie durch Misserfolge ab und damit auch die Lust an der Schule."

Spiel ist dafür, erst später Noten einzuführen und "dass auch in höheren Schulstufen verbale Beurteilungen ergänzend zu Noten gegeben werden". Denn solche Bewertungen würden etwa Auskunft über Mitarbeit, Arbeitshaltung und Selbständigkeit geben, "die auch für den Arbeitsmarkt von Relevanz sein kann".

In der Volksschule müssen derzeit auch im Rahmen der Ziffernbeurteilung regelmäßig Gespräche zwischen Klassenlehrperson, Erziehungsberechtigten und Schülerin oder Schüler stattfinden. Die Wiedereinführung der verpflichtenden Noten ab dem Jahreszeugnis der zweiten Klasse 2018 wurde wissenschaftlich begleitet. Die Untersuchung zeigte, dass Erläuterungen immer eine sinnvolle Ergänzung sind, heißt es aus dem Bildungsministerium: "Die Aussagekraft, Verständlichkeit und Nützlichkeit für den weiteren Lernweg werden dadurch deutlich erhöht." Dem Ministerium zufolge lässt sich aus den Befragungen von Schulleitungen, Lehrkräften und Erziehungsberechtigten ablesen, dass "die nunmehr bestehende Kombination aus Elementen der Notenbeurteilung und der alternativen Leistungsbeurteilung" einen "deutlichen Mehrwert" bringe.

Minister hält an Noten fest

Zuletzt brachte SPÖ-Chef Andreas Babler das Thema im ORF-Sommergespräch wieder auf. Um Druck aus der Schule zu nehmen, sei die Abschaffung der Noten "eine Möglichkeit", sagte er. Im Bildungsministerium erteilt man dem eine klare Absage: "Es wird auch in Zukunft Schulnoten zur Beurteilung der Leistung der Schülerinnen und Schüler in Österreich geben", sagt Martin Polaschek zum STANDARD. Noten seien ein "bewährtes Instrument zur Beurteilung und Messung von Leistung, um die es nicht nur im alltäglichen Leben und in der Wirtschaft, sondern auch in unseren Schulen gehen muss und soll".

Das sieht unter anderem Bildungswissenschafter Bernhard Hemetsberger von der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt anders. Die Volksschule habe auch andere Aufgaben, als nur den Lehrplan abzuarbeiten. Sie müsse ein Ort sein, um "die Lernfreude zu fördern und das Lernvertrauen zu stärken". Gerade das Schuleintrittsalter sei eine besonders volatile Zeit, mit großen entwicklungspsychologischen Unterschieden unter den Kindern. "Da schon zu selektieren oder mit Noten zu bewerten, wo ein Kind steht, oder dass es sogar sitzenbleiben kann, ist kontraproduktiv."

Bei einer Beurteilung stelle sich immer die Frage: Welche Konsequenz hat sie? Wenn Noten vor allem zur Selektion und Allokation – also zur Aussiebung und Zuweisung – dienen, "dann ist der Druck hoch", sagt Hemetsberger. In den ersten Jahren plädiert er dafür, "Schülerinnen und Schüler dort abzuholen, wo sie stehen" und zu "Rückmeldungen ohne Konsequenz". Lehrende sollten im gemeinsamen Lehr- und Lernsetting den Bildungserfolg der Kinder unterstreichen. Denn Kinder, die am Anfang der Schullaufbahn positive Erfahrungen mit Beurteilung machen, würden später auch Noten besser als "pädagogische Rückmeldung" erfahren.