Ohne Vertrauensbasis ergeben Verhandlungen keinen Sinn. Doch diesmal sieht es danach aus, als ob sowohl die griechische wie auch die türkische Seite auf Treu und Glauben in die Gespräche gehen. Es geht darum, die Seegrenzen endlich festzulegen – seit Jahren streiten die beiden Staaten darüber, wem welche Festlandsockel rund um griechische Inseln gehören. Es geht aber auch darum, die Krisenanfälligkeit der Region zu minimieren. Der griechische Außenminister Giorgos Gerapetritis reist am Dienstag nach Ankara, um dort seinen Amtskollegen Hakan Fidan zu treffen. Beide Länder wollen zustimmen, beim Internationalen Gerichtshof einen Antrag auf Entscheidung über die Abgrenzung ihrer Festlandsockel- und Seegerichtsbarkeit zu stellen.

Georgios Gerapetritis reist in die Türkei
Georgios Gerapetritis reist in die Türkei.
EPA/OLIVIER MATTHYS

Bei der UN-Generalversammlung in New York sollen dann auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis zwischen 18. und 20. September Gespräche führen, um die bilateralen Probleme endlich zu lösen. Der Streit über die Seegrenzen hat die beiden Staaten in den vergangenen Jahren immer wieder an den Rand eines bewaffneten Konflikts gebracht.

"Anhaltend positives Klima"

Gerapetritis meinte nun, Griechenland wolle "das anhaltend positive Klima ausnutzen", auch um nachhaltig Wirtschaftsrechte zu klären, etwa die Ausbeutung von Rohstoffen wie Öl und Gas im Mittelmeer. Auch die seit Jahrzehnten offene Zypern-Frage soll in diesem Zusammenhang wieder einmal zur Sprache kommen. Denn die Türkei beansprucht einen Großteil der Wirtschaftszone rund um Zypern, wo mehrere große Offshore-Erdgasvorkommen entdeckt wurden. Gerapetritis sagte, zu den obersten Prioritäten gehöre auch ein Abkommen zur Wiedervereinigung des ethnisch geteilten Zypern im Einklang mit den Resolutionen der Vereinten Nationen.

Angesichts der unzähligen gescheiterten Versuche in dieser Frage unternimmt der griechische Premier Mitsotakis in seiner zweiten Amtszeit tatsächlich einen historischen Versuch, ungelöste Probleme in Angriff zu nehmen. Kurz vor seiner Wiederwahl hatte er angekündigt, dass er der Türkei "eine Hand der Freundschaft" reichen werde. Das Tauwetter zwischen Athen und Ankara begann bereits im Februar nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei. Zuletzt half die Türkei auch bei der Bekämpfung der Brände in Griechenland.

Kooperationsrat

Die kommenden Monate werden entscheidend dafür sein, ob Griechenland und die Türkei die Spannungen hinter sich lassen und den Weg über den Internationalen Gerichtshof in Den Haag ebnen können. Beim Nato-Gipfel im Juli in Vilnius haben Erdoğan und Mitsotakis ihren Ministern grünes Licht gegeben. Sowohl Mitsotakis als auch Erdoğan haben zuletzt die Wahlen gewonnen, und dadurch die politischen Spielräume für schwierige und auch unpopuläre Entscheidungen. Bei einem hochrangigen Kooperationsrat im November in Thessaloniki sollen weitere Schritte vereinbart werden.

Kyriakos Mitsotakis und Recep Tayyip Erdogan beim Nato-Gipfel in Vilnius.
Kyriakos Mitsotakis und RecepTayyip Erdoğan beim Nato-Gipfel in Vilnius.
via REUTERS/MURAT CETINMUHURDAR/

Die griechische Regierung hat in den vergangenen Monaten auch Schritte unternommen, um die Beziehungen zum Nachbarstaat Albanien zu verbessern. Mitsotakis besuchte bereits im Dezember Albanien. Wie im Fall der Türkei streiten auch Griechenland und Albanien um die Abgrenzung der Festlandsockel und der Meereszonen, also um die Seegrenzen, vorwiegend wegen der Rohstoffe im Mittelmeer. Dieses Problem soll auch von einem Internationalen Schiedsgericht gelöstet werden. Albanien fordert zudem, dass ganz offiziell das Kriegsrecht zwischen den beiden Staaten – das seit dem Zweiten Weltkrieg besteht – aufgehoben wird.

Unterdrückte Minderheit

Wichtig für die Beziehungen sind aber auch die albanischen Migranten, die seit Jahrzehnten in Griechenland als Gastarbeiter tätig sind. Derzeit wird auch über die Pensionen dieser Arbeiter in Griechenland verhandelt. Außerdem geht es um die Çamen – Muslime mit einem albanischen Nationalbewusstsein. Viele von ihnen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg aus Griechenland vertrieben. Die Geschichte der Çamen belastet die Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Griechenland bringt dieses Thema wiederum in Verbindung mit der griechischen Minderheit in Südalbanien, die sich mitunter noch diskriminiert fühlt. Unter dem kommunistisch-stalinistischen Regime war die griechische Minderheit in Albanien extremer Unterdrückung ausgesetzt.

Jüngst wurde die positive Stimmung zwischen den beiden Staaten dadurch getrübt, dass der in der südalbanischen Stadt Himara im Mai gewählte Bürgermeister Fredi Beleri – ein ethnischer Grieche – von der albanischen Staatsanwaltschaft wegen Korruption angeklagt wurde und sein Amt nicht antreten kann. Die griechische Regierung vermutet dahinter eine ethnisch motivierte Diskriminierung – was jedoch ganz offensichtlich nicht der Fall ist. Denn egal ob ethnischer Grieche oder nicht, Beleri kam in Albanien schon mehrmals mit dem Strafrecht in Konflikt. Er wurde 2003 in Albanien wegen Anstiftung zu ethnischem Hass verurteilt und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er floh, verbrachte zehn Jahre im Ausland und kehrte erst nach Albanien zurück, als die Straftat verjährt war.

Premier Kyriakos Mitsotakis beschwerte sich bei Ursula von der Leyen
Premier Kyriakos Mitsotakis beschwerte sich bei Ursula von der Leyen.
IMAGO/Giorgos Kontarinis / Eurok

"Ernsthaftes Hindernis"

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nun vor, dass er vor der Wahl einen Verbündeten zum Stimmenkauf aufgefordert habe. Doch der griechische Außenminister Gerapetritis und der griechische EU-Kommissar Margaritis Schinas fordern Beleris Freilassung und stellen die EU-Annäherung Albaniens infrage. "Aus Sicht der griechischen Regierung stellt dies ein ernsthaftes Hindernis auf dem Weg Albaniens hin zur europäischen Familie dar", sagte Gerapetritis. Beleri behauptet, dass die albanischen Behörden Eigentum von ethnischen Griechen in Albanien an sich reißen wollten und er in Untersuchungshaft gekommen sei, damit er nicht Bürgermeister von Himara werden könne.

In keinem der letzten von der Europäischen Kommission veröffentlichten europäischen Fortschrittsberichte wird hingegen auf eine Verletzung der Rechte der griechischen Minderheit durch die albanischen Behörden hingewiesen. Der albanische Premierminister Edi Rama bezeichnete den Fall Beleri als einen "Test für Gerechtigkeit". Mitsotakis hingegen sagte, er habe sich bei der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, über die Verhaftung Beleris beschwert. Es könnte also sein, dass die griechisch-albanischen Beziehungen durch die Causa wieder langfristiger erkalten. (Adelheid Wölfl, 5.9.2023)