Es wird mehr sein als ein Höflichkeitsbesuch beim Nachbarn, wenn sich der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un kommende Woche aufmacht, um seinen russischen Kollegen Wladimir Putin zu besuchen. Für die beiden Parias der internationalen Politik geht es um weitaus mehr als um Beziehungspflege.

In Wladiwostok findet von 10. bis 13. September ein Wirtschaftsforum statt, bei dem sich die beiden Staatschefs Berichten zufolge zu Gesprächen treffen sollen. Aber auch von einem möglichen Moskaubesuch ist die Rede, was angesichts der enormen Distanz aber vermutlich kein Thema ist.

Für Putin geht es um Nachschub für seinen desaströs verlaufenden Ukraine-Feldzug, für Kim um nichts weniger als das Durchbrechen der Isolation, die die technische Entwicklung der Rüstungsproduktion des Landes blockiert.

Kein Globetrotter

Während der international als Kriegsverbrecher gesuchte Putin ohnehin sein Land kaum noch verlassen kann, weil er dabei eine Verhaftung riskieren würde, sind Kims Auslandsbesuche sowieso spärlich gesät: Der Despotenspross übernahm im Jahr 2011 die Macht und blieb die folgenden Jahre im Land. Erst 2018 reiste er erstmals zu seinen Gönnern nach Peking, der Startschuss für eine geradezu rege Reisetätigkeit. Innerhalb von 15 Monaten unternahm er insgesamt neun Auslandsbesuche: vier nach China, zwei nach Südkorea und je einen nach Russland (ebenfalls in Wladiwostok), Singapur und Vietnam. Das Treffen mit Südkoreas Präsident Moon Jae-in und US-Präsident Donald Trump am 30. Juni 2019 in der demilitarisierten Zone am Grenzübergang von Panmunjom war das bisher letzte Mal, dass Kim fremden Boden betrat. Kim Jong-un ist bei seinen Reisen wie schon sein Vater höchst paranoid und meidet Flugzeuge, stattdessen vertraut er auf seinen gepanzerten Luxuszug.

Kim Jong-un und Wladimir Putin prosten sich bei ihrem Treffen in Wladiwostok im April 2019 zu.
Kim Jong-un und Wladimir Putin prosten sich bei ihrem Treffen in Wladiwostok im April 2019 zu.
AP

Mit diesem wird er also auf seinem Weg Richtung Wladiwostok über die "Brücke der koreanisch-russischen Freundschaft" nach Russland reisen. Diese Brücke über den fünfhundert Meter breiten Grenzfluss Tumen ist die einzige Landverbindung zwischen den Nachbarstaaten, sie wurde 1959 anstelle einer älteren Holzbrücke errichtet. Mit nur 17,2 Kilometern ist die gemeinsame Grenze die kürzeste Grenze Russlands zu einem Nachbarstaat. Für seine Reise muss sich Kim Zeit nehmen, denn sein Zug ist vieles, jedoch eines ganz sicher nicht: schnell. Und die Distanz zwischen Pjöngjang nach Wladiwostok beträgt mehr als 685 Kilometer Luftlinie, auf der Bahnstrecke kommen noch ein paar Hundert Kilometer dazu.

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Die "Brücke der koreanisch-russischen Freundschaft" ist die einzige Landverbindung zwischen den beiden Staaten.
via REUTERS

Kleiner Bruder Pekings und Moskaus

Nordkorea wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit sowjetischer Unterstützung gegründet und wäre während des Kalten Krieges ohne die Hilfe der großen kommunistischen Brüder in Moskau und Peking nicht überlebensfähig gewesen. Im Koreakrieg wurde der Norden von der Sowjetunion und China hochgerüstet, was 1953 schließlich zum bis heute bestehenden Patt mit dem Süden führte. Der Zusammenbruch der Sowjetunion bedeutete das Ausbleiben der Unterstützung aus Moskau, was wiederum aufgrund der wirtschaftlichen Inkompetenz der Führung in Pjöngjang Hungersnöte auslöste.

In den vergangenen drei Jahrzehnten waren die Beziehungen bei weitem nicht so herzlich wie zu Sowjetzeiten. Doch nun ist der wirtschaftlich und politisch immer mehr isolierte Putin auf einer geradezu verzweifelten Suche nach potenten Freunden. Für Kim bedeutet die Situation nach dem russischen Überfall auf die Ukraine also eine Chance. Für Pjöngjang waren Moskau, aber vor allem Peking in den vergangenen Jahrzehnten immer die Hebel für einen gewissen Ausgleich, um die Folgen der internationalen Sanktionen abzufedern. Doch wegen der fortgesetzten Atomtests ab dem Jahr 2006 schlossen sich in der Vergangenheit auch Russland und China den Maßnahmen gegen das nordkoreanische Atomprogramm an.

Kriegsbedingte Annäherung

Der jüngste Atomtest fand im Jahr 2017 statt, seither versucht Kim, die Beziehungen wiederherzustellen. Putin traf er erstmals im Jahr 2019 in Wladiwostok. Durch Putins militärisches Abenteuer wurde der Annäherungsprozess beschleunigt. Moskau kümmert sich längst nicht mehr um internationale Verpflichtungen. Und auch im Fall der Sanktionen gegen Nordkorea steht Russland nun gemeinsam mit China weiteren Maßnahmen ablehnend gegenüber. Damit ist die Front gegen Kim im UN-Sicherheitsrat erstmals seit dem Jahr 2006 gespalten.

Nordkorea war einer von nur fünf Staaten, die 2022 in der UN-Generalversammlung gegen eine Verurteilung der Invasion in der Ukraine stimmten. Putins Marionettenstaaten in den besetzten ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk wurden von Pjöngjang anerkannt.

Frieden und Harmonie auf Russisch

Zum russischen Nationalfeiertag im Juni gratulierte Kim und versprach, den Russen das "Händchen zu halten". Im Juli besuchte der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu Pjöngjang und wohnte salutierend einer Militärparade bei, während vor seinen Augen Kims verbotene ballistische Raketen vorbeigerollt wurden. Am Montag spekulierte Schoigu in russischen Medien gar über baldige gemeinsame Militärmanöver. "Warum nicht, das sind unsere Nachbarn", wird der Minister zitiert: "Es gibt ein altes russisches Sprichwort: Man wählt seine Nachbarn nicht aus, und es ist besser, mit seinen Nachbarn in Frieden und Harmonie zu leben." Diese Weisheit hat im Umgang mit der Ukraine jedenfalls zu keinem Zeitpunkt eine Rolle gespielt. Der südkoreanische Geheimdienst rechnet mit gemeinsamen Marineübungen Nordkoreas mit Russland und China, die Schoigu bei seinem Besuch in Pjöngjang avisiert habe.

Sergei Schoigu zu Gast beim nordkoreanischen Diktator und seinen ordenbewehrten Generälen.
Sergei Schoigu zu Gast beim nordkoreanischen Diktator und seinen mit Orden bewehrten Generälen.
IMAGO/KCNA

Lieferungen großer Mengen von Waffen und Munition wären der logische nächste Schritt. Schon im Vorjahr ersuchten Moskau und auch die Wagner-Söldnertruppe Pjöngjang um Artilleriegranaten und Raketen, und Satellitenbilder deuten darauf hin, dass bereits Lieferungen stattgefunden haben. Washington warnte Pjöngjang zuletzt eindringlich vor derartigen Geschäften mit Moskau.

Technologietransfer

Putin ist für seinen Krieg vor allem auf Artilleriemunition und Panzerabwehrwaffen angewiesen. Für Kim wiederum steht neben den obligatorischen Lebensmittellieferungen ein Zugang zu einer moderneren Satellitentechnologie und zu Atom-U-Booten im Fokus. Damit wäre ein Aufschwung für die illegalen nordkoreanischen Rüstungsprogramme möglich. Darüber hinaus bietet sich für Kim auf diese Weise die Möglichkeit eines Praxistests für sein Waffenarsenal.

Auch auf wirtschaftlicher Ebene ist ein starker Anstieg der Aktivitäten zu verzeichnen. Die während der Corona-Pandemie eingestellten Bahnverbindungen wurden im vergangenen Jahr wieder aufgenommen, wobei der erste Zug ungewöhnliche Passagiere an Bord hatte: Russland lieferte dem Pferdefreund Kim dreißig Orlow-Traber-Rassepferde. Und auch Öl liefert Russland wieder nach Nordkorea, und zwar offenbar mehr, als aufgrund der bestehenden Sanktionen zulässig ist. Ebenso hilft Pjöngjang seinem Nachbarn mit Arbeitskräften. Die Rede ist von zehntausenden Arbeitern, die entgegen der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates in Russland eingesetzt werden sollen. Sogar für den Wiederaufbau in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine sollen sie herangezogen werden. (Michael Vosatka, 5.9.2023)