Baugeräte findet man nur noch in der Sandkiste – knallbunt und im Miniaturformat. Die großen Geräte sind in den beiden Gemeindebau-Anlagen in der Deutschordenstraße 7–25 und 27–35 im 14. Bezirk schon abgefahren. Die einst verwaschen ockerbraunen Gemeindebauten aus den 1950er-Jahren, direkt hinter dem Rapid-Stadion gelegen, wurden in den vergangenen zweieinhalb Jahren thermisch saniert.

In der Deutschordenstraße im 14. Bezirk wurden in den letzten zweieinhalb Jahren zwei große Anlagen thermisch saniert.
In der Deutschordenstraße im 14. Bezirk wurden in den letzten zweieinhalb Jahren zwei große Anlagen thermisch saniert.
Christian Fischer

Das heißt: Die Gebäude wurden in zwölf Zentimeter dicke Styroporplatten gepackt, Kellerdecken und Dachgeschoßdecken gedämmt, sämtliche Fenster und Türen ausgetauscht, 23 Aufzüge eingebaut und die Balkone erneuert. Nun sind die Häuser mit 277 Wohnungen hellgrün und hellgelb, die Bauarbeiter abgezogen – und die Stadt um ein Pilotprojekt reicher.

Große Zahlen

Wien hat ein großes Ziel: Die Stadt will bis 2040 klimaneutral sein und bezeichnet sich als Klimamusterstadt. Das bedeutet auch, dass sämtliche Gasheizungen, die in vielen Grätzeln noch Standard sind, bis dahin durch erneuerbare Alternativen ersetzt werden müssen. Das ist vielerorts eine Herausforderung – und auch bei Wiener Wohnen. Das Unternehmen ist mit 1800 Gemeindebauten die größte Hausverwaltung Europas. In 64 davon läuft aktuell eine "Totalsanierung", heißt es vonseiten der Stadt, 722 Millionen Euro werden dafür in die Hand genommen.

Das sind große Zahlen – 2040 ist aber angesichts langer Planungshorizonte und des Mangels an Arbeitskräften nicht ewig weit entfernt. In dem Tempo sei das bis 2040 nicht zu schaffen, meinen Kritiker. Bei der Stadt betont man, dass das Tempo weiter erhöht werde. Da kommt das Pilotprojekt in der Deutschordenstraße ins Spiel, das etwas kurios, nämlich in zwei Akten, über die Bühne geht. Noch heizen die Bewohnerinnen und Bewohner hier so wie in rund 30.000 weiteren Gemeindewohnungen mit Gas.

 In wenigen Monaten geht die Baustelle schon wieder weiter.
In wenigen Monaten geht die Baustelle schon wieder weiter.
Christian Fischer

Bis zum Herbst 2024 soll die Anlage auf einen Mix aus Geothermie und Luftwärmepumpe umgestellt werden. Strom kommt von Photovoltaikanlagen auf den Dächern. Warum nicht Sanierung und Dekarbonisierung in einem und damit eine kürzere Baustelle? Das Projekt sei in zwei Abschnitten geplant gewesen, heißt es auf Nachfrage.

In der Deutschordenstraße wird auf den Einbau von Fußboden- oder Deckenheizungen verzichtet, der eine Großbaustelle in jeder Wohnung bedeuten und für Unmut bei Mieterinnen und Mietern sorgen würde. Stattdessen werden die bestehenden Heizkörper genutzt. Allerdings verringert sich durch das neue Heizsystem die Vorlauftemperatur – also jene Temperatur, auf die das Heizwasser im Heizkörper geheizt wird – auf 50 Grad.

150 Meter in die Tiefe

Wohlig warm soll es in den Wohnungen dennoch werden. Möglich sei das, weil durch die thermische Sanierung der Heizwärmebedarf des Hauses um 75 bis 80 Prozent gesenkt wurde, erklärt Jasmin Dudakovic von Wiener Wohnen. Allerdings werde sich auch das Heizverhalten ändern müssen. Wichtig sei, die Temperatur konstant zu halten – und die Heizung nicht ständig ein- und auszuschalten.

Dort, wo ab dem Frühjahr einer von zwei schallgedämmten Technikräumen in der Anlage steht, ist jetzt noch eine kleine Garage mit Gestrüpp inmitten einer Grünfläche. An mehreren Punkten wurde von einer acht Meter hohen Drillmaschine in den letzten Monaten bereits 150 Meter in die Tiefe gebohrt, drei Tage kann das dauern.

Die Stadt muss aber noch viel dickere Bretter bohren, findet Georg Prack. "Der Gemeindebau ist das absolute Schlusslicht bei der Dekarbonisierung", sagt der Wohnsprecher der Wiener Grünen. Bisher gibt es in der ganzen Stadt nur acht Photovoltaikanlagen auf Gemeindebauten, drei weitere Anlagen in Floridsdorf, Liesing und Donaustadt sollen kommendes Frühjahr in Betrieb gehen. "Überall gibt es einen Solarboom, und in Wien herrscht Flaute", kritisiert Prack.

Von Tür zu Tür

Der hohe Grad der Versorgung mit Fernwärme – 118.000 Gemeindewohnungen sind an das Netz angeschlossen – sei zwar auf den ersten Blick positiv, allerdings ist auch die Fernwärme in Wien noch auf Gas angewiesen.

Den Umstieg auf die Fernwärme in innerstädtischen Gebieten findet Michael Cerveny, Energie-Experte von Urban Innovation Vienna, dennoch sinnvoll: "Die Fernwärme ist grundsätzlich dekarbonisierbar", sagt er, etwa durch Tiefengeothermie und Großwärmepumpen, das Potenzial dafür sei in Wien groß.

Wie die selbsternannte Klimamusterstadt mit ihren eigenen Bauten verfährt, wird kritisch beäugt.
Wie die selbsternannte Klimamusterstadt mit ihren eigenen Bauten verfährt, wird kritisch beäugt.
Christian Fischer

Bei der Dekarbonisierung müssen aber letztendlich auch die Mieterinnen und Mieter mitspielen. In der Deutschordenstraße beginnen im Spätherbst die Informationsveranstaltungen und Hausbesuche bei Mieterinnen und Mietern. Sie müssen dem Umstieg auf das neue Heizsystem zustimmen – wer das nicht tut, kann weiterhin mit Gas heizen. So will es das Wohnrecht, es ist Bundessache – und ein ordentlicher Klotz am Bein, urteilen Fachleute, die ihre Hoffnung diesbezüglich auf das Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG) setzen, das allerdings weiter auf sich warten lässt.

Philipp Mörwald, bei Wiener Wohnen für die Sanierungskommunikation zuständig, weiß schon jetzt, dass es einige Haushalte geben wird, die beim Gas bleiben wollen. Häufig werde dann mit Bevormundung oder der Angst vor hohen Kosten argumentiert. "Wir können niemanden zwingen", sagt Mörwald. Leichter geht der Umstieg da in den 50 Wohnungen, die in der Anlage derzeit leer stehen.

Weitere Projekte

Am Ende seien die Mieterinnen und Mieter nach einer thermischen Sanierung in der Regel sehr zufrieden – in der Deutschordenstraße wohl auch, weil die Mieten aufgrund des Status als Pilotprojekt nicht steigen werden. Pilotprojekt bedeutet aber auch: Weitere Projekte sollen folgen. Oder: müssen folgen. 10.000 Gemeindewohnungen müssten ab jetzt pro Jahr thermisch saniert werden, damit sich das große Ziel bis 2040 ausgeht, rechnet Grünen-Politiker Prack vor.

Und würde man nur die Hälfte der Dächer mit Photovoltaik ausstatten, müsste man ab sofort jede Woche eine installieren. "Da muss ein anderer Drive rein", sagt er. Seit gut einem Jahr gebe es echtes Commitment und neue Strukturen bei Wiener Wohnen, meint hingegen eine, die sich auskennt, ihren Namen aber nicht in der Zeitung lesen will. Nun beginne die Maschine langsam anzulaufen.

Damit die Baugeräte nicht nur in der Sandkiste zu finden sind. (Franziska Zoidl, 12.9.2023)