Es ist so sicher, wie das Amen im Gebet: Alle paar Monate flammt eine Debatte über Kleidungsvorschriften an Schulen auf. Dieses Jahr forderte beispielsweise die Wiener FPÖ im Frühjahr ein Jogginghosen-Verbot. Im Sommer sorgte ein Brief für Aufregung, in dem eine Mittelschuldirektorin Burschen und Lehrer vor nackter Haut schützen wollte. Und aktuell wird über die neue Hausordnung an einem Gymnasium in Stockerau debattiert.

Aktuell wird über die neue Hausordnung an einem Gymnasium in Stockerau debattiert.
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Schuluniformen können in öffentlichen Pflichtschulen nicht so einfach vorgeschrieben werden – an Privatschulen natürlich schon. Die öffentlichen Schulen haben die Möglichkeit, bestimmte Kleidervorschriften über die Hausordnung zu forcieren, wie es im Stockerauer Gymnasium passiert ist. Dort sollen sich Mädchen, wie berichtet, nicht zu freizügig kleiden. Buben sollen unter anderem keine Oberteile mit "diskriminierenden Texten und Bildern" tragen. Die Hausordnung wurde im Schulgemeinschafts-Ausschuss beschlossen wurde – also in Abstimmung mit der Eltern- und Schülervertretung.

Elternvertreterin hält Regeln für gut

Die Vorsitzende des Dachverbands für Elternvereine an Pflichtschulen, Evelyn Kometter, kann solchen Hausordnungen einiges abgewinnen. "Natürlich sehen wir das positiv", sagt sie dem STANDARD. Einerseits würden bestimmte Vorgaben aus gesundheitlichen und sicherheitstechnischen Gründen Sinn ergeben. Kometter nennt hier vor allem das Kopftuch und bauchfreie Oberteile. "Den Nabel und die Nieren zu bedecken, das ist doch gut. Da geht es zum Beispiel um die Verhinderung von Blasenenzündungen." Und bezüglich der Sicherheit meint die oberste Pflichtschul-Elternvertreterin Türklinken, die wortwörtlich zum Verhängnis werden können.

Andererseits handle es sich bei solchen Regeln aber um eine wichtige Erziehungsmaßnahme, sagt Kometter. "Es geht um gesellschaftlichen Anstand. Im Berufsleben kann man auch nicht bauchfrei oder in kurzen Hosen in der Bank arbeiten. Kinder und Jugendliche müssen das lernen." Diesen Lernbedarf gebe es laut Kometter in ländlichen Regionen kaum, öfter sei es in Städten bzw. an großen Schulen ein Thema. Ganz allgemein falle auf, dass solche Problematik zugenommen hätten. Dass die Vorschriften vor allem Mädchen treffen, sei so, sagt Kometter. "Leider". Das liege aber an Trends, die eben gerade vorherrschen würden.

Sexualisierte Mädchen

Die grüne Jugendsprecherin Barbara Nessler sieht das anders. "Ich habe gehofft, dass die Zeiten, wo wir vor allem Frauen vorschreiben, was sie anzuziehen haben und was nicht, sprichwörtlich aus der Mode gekommen sind." Immer wieder tauche die "unsinnige Debatte über Freizügigkeit auf", die vorrangig Mädchen und Frauen treffe, sagt sie. "Dabei wird vergessen, dass so jungen Frauen nicht nur das Recht auf Selbstbestimmung genommen wird, sondern sie damit gleichzeitig sexuell objektiviert werden." Aber weder Miniröcke in den 60ern noch Cropped Tops in der heutigen Zeit seien ein Problem. "Sondern diejenigen, die sich daran stören", sagt Nessler.

Auch bezüglich der Erziehungsmaßnahme mit Blick Richtung Berufsleben hat Nessler eine andere Meinung als Elternvertreterin Kometter. "Ich glaube, gerade im Berufsleben haben viele Unternehmen bereits verstanden, dass es nicht darum geht, was man anhat, sondern was man kann. Zeiten ändern sich, und das ist gut so."

Absage an religiöse Kleidervorschriften

Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) hat Verständnis für die Vorgangsweise in Stockerau. Wenn eine Schule das gemeinsam mit den Schülern regle, finde sie das "völlig okay". Die Schüler an der angesprochenen Schule scheinen zufrieden zu sein, sagt Plakolm. Sie spannt den Bogen zu religiösen Kleidungsvorschriften: "Wenn zeitgleich Mädchen in Wien auf offener Straße verprügelt werden, weil sie sich laut selbsternannten Sittenwächtern nicht genug verhüllen, dann ist wieder einmal eine Grenze überschritten". Es gelte, den persönlichen Geschmack außen vor lassend: "Zieht euch an, was ihr wollt, das hat euch keine Religion vorzuschreiben."

Auch Neos-Jugendsprecher Yannick Shetty spannt den Bogen zu religiösen Kleidungsvorschriften. Der Staat solle sich nicht in die Kleidungswahl seiner Bürgerinnen und Bürger einmischen, das gehöre schlicht nicht zu seinen Aufgaben. "Wo kommen wir denn hin, dass die Politik bestimmt, was 'frei' oder 'angemessen' ist", sagt Shetty. Gerade die FPÖ liefere mit "regelmäßigen Jogginghose-Verbotsfantasien" einen Einblick, wie eine freiheitlich-autoritär geführte Regierung aussehen würde. "Etwas anderes gilt natürlich bei religiösen Kleidungsvorschriften, die in die Selbstbestimmung von unmündigen Minderjährigen eingreifen." Die Neos treten daher für einen religionsneutralen Raum bis 14 ein.

Bundesschulsprecherin will sich wohl fühlen 

Und was sagen Schülerinnen und Schüler? Flora Schmudermayer, die noch bis zum Wochenende Bundesschulsprecherin ist, sieht die Schule als einen "Wohlfühlort", zumindest solle sie das sein. "Da gehört natürlich auch dazu, dass ich anziehen kann, worin ich mich wohl fühle." Kleidung sei eine persönliche Entscheidung und bilde die Persönlichkeit ab. Schule solle das fördern und nicht mit Verboten arbeiten, meint die Schülervertreterin. Sie hält es für sinnvoller, wenn das Thema angemessene Kleidung, aber auch Sexualisierung im Unterricht behandelt wird. "Zu schauen, ob das Leiberl einen Zentimeter zu kurz oder zu lang ist – das bringt nur Stress und überhaupt keinen Mehrwert." (Lara Hagen, 14.9.2023)