Wer schon behördliche Dokumente in der Hand hatte, kennt das vielleicht: Diese Zettel sind selbst für Muttersprachler oft nicht einfach zu verstehen. Erst recht tut sich jemand schwer, dessen erste Sprache nicht Deutsch ist. Viele Kinder migrantischer Eltern übernehmen deshalb die Übersetzungsarbeit. So war es auch bei dem Gründer der App Totoy, Francis Rafal: "Meine Eltern sind von den Philippinen. Da ich hier in Österreich aufgewachsen bin, übersetzte ich immer komplizierte deutsche Dokumente für sie.” Auch in den sozialen Medien wird das Tabu langsam aufgebrochen, über diese Erfahrungen zu sprechen, und berichtet, wie es ist, als Kind Übersetzerin, Finanzberater, Stromexpertin und Anwalt zugleich zu sein.

Darüber hinaus kommt die PIAAC-Studie (2012) zu dem Schluss, dass es in Österreich knapp eine Million funktionale Analphabetinnen und Analphabeten gibt. Das bedeutet, dass diese Personen nicht in der Lage sind, aus einem einfachen Text eine oder mehrere direkt enthaltene Informationen sinnerfassend lesen können. All das inspirierte Francis Rafal und seine vier Mitgründer, die App Totoy zu entwickeln. Die Teammitglieder kommen alle aus sehr unterschiedlichen Branchen: Automechanik, Kundenservice, Medizin, Vertrieb und Film. Kennengelernt haben sie sich im Herbst 2022 bei der Programmierschule 42 Vienna.

Im März 2023, also nur wenige Monate später, war dann die Idee auch schon geboren: Behördendokumente fotografieren und die Übersetzung davon in einfacher Sprache in der App erhalten. Möglich ist das mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI). "Was wir machen, nennt sich Prompt Engineering. Das bedeutet, wir sammeln und bereiten Daten auf, die die KI verarbeiten soll. Dann wählt man ein Modell aus und verfeinert, überwacht und optimiert es", erklärt Rafal. Seit Anfang September ist die App nun in den Stores erhältlich, entweder in der kostenlosen Version, in der man zehn Dokumente im Monat verarbeiten lassen kann, oder in der unlimitierten Version für 29,99 pro Jahr. 95 Sprachen kann die App erkennen, eine Erklärung kann in 18 Sprachen generiert werden.

Totoy im Test

Der STANDARD hat die App einem kurzen Test unterzogen. Startet man diese, so wird man zunächst mit einer Frage zur wichtigsten Information von allen konfrontiert, jene nach der eigenen Sprache. Im Test wählen wir "Englisch". Anschließend meldet man sich in der App an, was auf einem Pixel 7 Pro mit einem Google-Account leider mehrmals nicht funktionierte, auf dem gleichen Handy mit einem passwortlosen Account aber ebenso klappte wie auf einem iPhone SE mit einem Apple-Account.

Handy in dem gerade die App Totoy geöffnet ist
Foto des Dokuments machen und in einfache Sprache übersetzen lassen mit der App Totoy.
Totoy

Nach Anmeldung ist noch die nächste Hürde zu nehmen, nämlich jene der rechtlichen Zustimmungen: Zustimmen muss man nämlich nicht nur, dass die Anwendung sensible Daten verarbeiten darf – man muss überdies bestätigen, dass man älter als 18 Jahre ist und versteht, dass man sich bei Entscheidungen nicht auf die App verlässt und dass das dahinterstehende Unternehmen nicht für etwaige Fehlinformationen haftet.

Scans und Chats

Sind diese Hürden einmal genommen, so lässt sich Totoy kinderleicht bedienen und liefert nützliche Ergebnisse. So wird per Handykamera ein Foto des Dokuments gemacht, welches anschließend von der KI analysiert wird. In einem Chat mit einem Chatbot erhält man eine punktuelle Zusammenfassung des Dokumenteninhalts in der gewünschten Sprache. In unserem Fall haben wir etwa das Vorwort zum Jahresbericht 2022 der RTR gescannt und anschließend eine sehr übersichtliche und verständliche Zusammenfassung in englischer Sprache zum Breitbandausbau in Österreich erhalten.

Anschließend ist es möglich, der KI in einem Chat passende Fragen zu einem Dokument zu stellen. Auch das funktioniert im ersten Test gut: Eine Fangfrage zu 5G hat die KI nämlich nicht beantwortet, da dieser Begriff auch an keiner Stelle des Vorworts vorkommt, Informationen zum Datenverbrauch allgemein in Österreich können jedoch verlässlich geliefert werden. Die App liefert also, anstatt zu halluzinieren. Die gescannten Dokumente finden sich anschließend in einer Übersicht, in unserem Fall hat die KI sogar einen passenden Titel generiert und den Namen des Autos inkludiert, diese Daten lassen sich bei Bedarf auch editieren. Zudem wird transparent angezeigt, wie viele Scans im aktuellen Tarifmodell noch zur Verfügung stehen.

Im Summe entpuppt sich Totoy somit im ersten Probelauf als eine übersichtliche und praktische App, um vor allem Behördendokumente zu übersetzen oder verständlich zusammenzufassen – und somit als ein potenziell nützliches Werkzeug, das vielen Menschen das Leben erleichtern könnte. Derzeit ist das Projekt komplett aus Eigenmitteln finanziert. Das Team versucht aktuell jedoch, eine Finanzierung über Eigenkapital und Förderungen aufzustellen, teilt Rafal dem STANDARD mit. (Natascha Ickert. Stefan Mey, 17.9.2023)