Es war ein folgenreicher Besuch bei Parteifunktionären, den Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) unternommen hat. In Hallein redete sich der Kanzler regelrecht in Rage, warum aus seiner Sicht zu wenig weitergeht in Österreich: Zu viele Menschen seien in Teilzeit – Nehammer: "Wenn ich zu wenig Geld habe, gehe ich mehr arbeiten" –, und er könne die Kritik nicht verstehen, dass zu viele Kinder im Land keine warme Mahlzeit bekämen: "Was ist eigentlich mit den Eltern? Was heißt, ein Kind kriegt in Österreich keine warme Mahlzeit?" Ein Burger bei McDonald's koste schließlich nur 1,40 Euro.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei der Präsentation der Initiative "Glaub an Österreich".
APA/ROLAND SCHLAGER

Das sechsminütige Video, das am Mittwochabend seinen Weg in die sozialen Netzwerke gefunden hat, ging sofort viral. Es bietet viel Diskussionsstoff, etwa: Werden Kinder von einem Burger bei McDonald's satt? Wird tatsächlich übertrieben, wie hoch die Armutsgefährdung hierzulande ist? Was sind die Gründe für Teilzeitarbeit? Warum ist sie noch immer weiblich dominiert? Warum wird die Arbeit, die Frauen zu Hause leisten, noch immer nicht anerkannt? Wird in sozialen Netzwerken zu schnell verurteilt?

Authentizität ja, Hass nein

In einem Punkt muss aber Einigkeit herrschen: So soll ein Kanzler, der für alle Menschen in Österreich da sein muss, nicht sprechen. Heißt das im Umkehrschluss, ein hoher Repräsentant der Republik darf sich nie aufregen und Dampf ablassen ob der bestimmt oft frustrierenden Verhandlungen oder Gespräche, die er tagein, tagaus zu führen hat? Natürlich nicht. Das Land krankt ohnehin schon daran, viel zu wenige wirklich authentische Politikerinnen und Politiker zu haben. Aber als Amtsträger so herablassend und abschätzig gerade über jene herzuziehen, die es schwerer haben als andere Menschen, ist letztklassig.

In der neuen Weichspüler-ÖVP-Kampagne "Glaub an Österreich" will Nehammer "Zuversicht und Hoffnung geben, aber vor allem auch eines: Mut machen", wie es heißt. Bei der Funktionärsveranstaltung in Hallein war davon überhaupt nichts zu spüren. Nach dem Video stellt sich nun die Frage: Was kann man Nehammer noch glauben? (Lara Hagen, 28.9.2023)