Ob der ORF auch so blitzartig reagiert hätte, wäre die Fleißaufgabe von Günther Ogris nicht der SPÖ, sondern der ÖVP gewidmet gewesen, ist eine der Fragen, die sich im nun mit voller Brutalität einsetzenden Wahlkampf nicht mehr ohne weiteres beantworten lässt. Die Krokodilstränen des ÖVP-Generalsekretärs haben da sicher ihre Wirkung nicht verfehlt, den ORF um die bisherige Zusammenarbeit mit dem Sora-Institut von unbestritten höchster wissenschaftlicher Professionalität zu bringen. Man wird sehen, was nachkommt.

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Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei der Präsentation der Initiative "Glaub an Österreich".
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Seit Karl Nehammer mit seinem "Glaub an Österreich" angetreten und Herbert Kickl ihm mit seiner Heimatliebeserklärung gefolgt ist, wird Pardon nicht mehr gegeben – die Heuchelei kennt keine Grenzen. Der Patriotismus-Kitsch des Bundeskanzlers und ÖVP-Obmanns soll vorbeugend davon ablenken, dass er bis vor kurzem noch ein Herold der Parole "Glaub an Kurz" gewesen ist und eben diesem Idol in drei Wochen ein Prozess wegen falscher Zeugenaussage bevorsteht, der sich – peinlicherweise – auch noch mindestens bis in den November hinein hinziehen soll.

Wie immer er ausgehen wird, so wünscht man sich keinen Wahlkampfstart. Der Abgeschobene taucht wieder auf, und kein noch so netter Film – auch der als Ablenkung gedacht – kann verharmlosen, was dort zur Sprache kommen wird. Für all das auch noch Leopold Figl rhetorisch zu exhumieren und als Glaubenszeugen für das tatsächlich gemeinte "Glaub an Nehammer" aufzurufen ist geschmacklos und verfehlt. Als Figl zum Glauben an Österreich aufrief, hatte das Land sieben Jahre einer präfreiheitlichen Diktatur hinter sich und war als Staat ausgelöscht.

Unangenehm berührt

Unter Nehammer haben wir nur eine Armutsdiskussion. Davon lässt er sich nicht die Stimmung trüben und verlangt dasselbe auch von der Bevölkerung. Im Freundeskreis beim Wein zeigte er sich unangenehm berührt von Berichten, wonach es in seinem Österreich Kinder gibt, die keine warmen Mahlzeiten bekommen. Dagegen wusste er Abhilfe, "nicht gesund, aber billig". "Ein Hamburger bei McDonald's. 1,40 Euro. Wenn ich jetzt noch Pommes dazu kaufe – 3,50 Euro. Und jetzt behauptet wirklich einer ernsthaft, wir leben in einem Land, wo Eltern sich dieses Essen für ihr Kind nicht leisten können?" Ein Vorschlag zur Glaubhaftigkeit: Die ÖVP sollte ihre Kampagne in "Glaub an McDonald's" umbenennen.

Aber Nehammer kann sich noch so sehr um Stimmung bemühen, gegen das aufdringliche Angebot des selbsternannten Volkskanzlers, "ein Herz und eine Seele mit der österreichischen Bevölkerung" sein zu wollen, stinkt er mit seinem Glaubensbekenntnis ab. Kickl will sich in einem heißesten politischen Herbst, den es je gegeben hat, einem "FPÖ-Heimatherbst, als besonnener Bundeskanzler und guter Familienvater für die Österreicher" präsentieren.

Frage der Zeit

Als besonnener Innenminister ist er ja noch in Erinnerung, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er sich vom Familienvater zum Gottvater emporfantasiert, dem zu huldigen jedes Familienmitglied verpflichtet wird: Glaub an Kickl.

Politikern, die vor Wahlen den Patriotismus herausholen und sich der Heimat als Liebhaber anschmeißen, um die Dürftigkeit ihrer Leistungen zu kaschieren, ist grundsätzlich zu misstrauen. (Günter Traxler, 29.9.2023)