Ulf Kristersson ist auf einem Handybildschirm zu sehen.
Ulf Kristersson wandte sich am Donnerstag in einer Liveübertragung an das Land.
AFP/JONATHAN NACKSTRAND

Stockholm – Im Kampf gegen die eskalierende Bandengewalt in Schweden könnte bald das Militär zum Einsatz kommen. Er werde sich am Freitag mit Polizeichef Anders Thornberg und dem militärischen Oberbefehlshaber Micael Bydén treffen, um zu prüfen, wie die Streitkräfte der Polizei bei der Arbeit gegen die kriminellen Gangs helfen könnten, sagte Ministerpräsident Ulf Kristersson am Donnerstagabend in einer Rede an die Nation.

In diesem September wurden in einer Gewaltwelle bereits elf Menschen erschossen – die höchste Opferzahl innert eines Monats seit vier Jahren. Alleine von Mittwoch auf Donnerstag wurden innerhalb von zwölf Stunden in Stockholm zwei Männer erschossen und außerdem eine 25-jährige Frau bei einer Explosion in einem Haus in Fullerö bei Storvreta in der Gemeinde Uppsala getötet.

Video: Schwedens Regierungschef will Militär gegen Bandengewalt einsetzen.
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"Schwierige Zeit für Schweden"

"Das ist eine schwierige Zeit für Schweden", sagte Kristersson in einer seltenen Fernsehansprache an die Nation. "Wir werden die Banden jagen, wir werden die Banden besiegen", sagte er. "Wir werden sie vor Gericht stellen. Sind sie schwedische Staatsbürger, werden sie mit sehr langen Haftstrafen eingesperrt. Sind es ausländische Staatsbürger, werden sie außerdem ausgewiesen." Kristersson machte frühere Regierungen für die Probleme verantwortlich. "Es ist eine unverantwortliche Einwanderungspolitik und eine gescheiterte Integration, die uns so weit gebracht haben", sagte der Ministerpräsident. Schweden habe so etwas noch nie zuvor gesehen, kein anderes Land in Europa erlebe eine solche Situation.

Die schwedische Gesetzgebung sei nicht auf "Bandenkrieg und Kindersoldaten" ausgelegt, sagte der Konservative. Seine Regierung ändere dies nun, sowohl in der Migrations- als auch in der Kriminalpolitik. Jugendgefängnisse sollten gebaut werden, um junge Straftäter von erwachsenen Kriminellen zu trennen. Außerdem werde daran gearbeitet, dass alle Kinder die schwedische Sprache lernen.

Armeechef zu Unterstützung bereit

Armeechef Micael Bydén erklärte, er sei bereit, die Polizei bei ihren Bemühungen zu unterstützen. Es ist noch nicht klar, wie sich das Militär engagieren könnte, aber frühere Gespräche deuten darauf hin, dass Soldaten bestimmte Polizeiaufgaben übernehmen könnten, damit die Beamten Ressourcen für die Verbrechensbekämpfung freisetzen können.

Grassierende Bandenkriminalität

Die Polizei schätzt, dass etwa 30.000 Menschen in Schweden direkt in Bandenkriminalität verwickelt sind oder mit ihr in Verbindung stehen. Schweden ringt seit Jahren mit einer grassierenden Bandenkriminalität, immer wieder kommt es zu Schüssen und vorsätzlich herbeigeführten Explosionen. In diesem Monat eskalierte die Gewalt abermals, was unter anderem mit einem Konflikt innerhalb des kriminellen Foxtrot-Netzwerks zusammenhängen soll. Zunehmend geraten Unbeteiligte zwischen die Fronten. Bei der Explosion in Fullerö in der Nacht auf Donnerstag starb die Nachbarin einer Verwandten eines Bandenmitglieds, die wohl das Ziel des Anschlages war. Kristersson kommentierte dies , die Frau sei "an einem ganz normalen Abend eingeschlafen, aber nie mehr aufgewacht". In Jordbro südlich von Stockholm starb wenige Stunden zuvor ein 23-Jähriger bei einem Grillfest, das von einem vorbeifahrenden Auto unter Feuer genommen wurde. Und am Mittwoch Abend wurde ein 18-jähriger Gangsterrapper bei einem Stockholmer Sportplatz erschossen, wo sich gerade zahlreiche Jugendliche aufhielten.

In Fullerö starb eine unbeteiligte 25-Jährige bei einem Bombenanschlag.
In Fullerö starb eine unbeteiligte 25-Jährige bei einem Bombenanschlag.
via REUTERS/TT NEWS AGENCY

Rasanter Anstieg der Gewalt

Die Zahl der Todesfälle durch Schusswaffen hat sich in Schweden von 2012 bis 2020 verdreifacht. Dafür lag die Aufklärungsquote bei Verbrechen mit Schusswaffen einer Studie aus dem Jahr 2017 zufolge bei nur 25 Prozent, im Vergleich dazu haben zum Beispiel Finnland und Deutschland Aufklärungsquoten von rund neunzig Prozent. Gleichzeitig sind Schusswaffenvorfälle mit Todesfolge gemessen an der Einwohnerzahl vier bis fünf mal so hoch wie in Deutschland oder Norwegen. In einem offiziellen Regierungsbericht aus dem Jahr 2021 heißt es, dass in Schweden pro Million Einwohner und Jahr vier Menschen erschossen werden, während es im europäischen Schnitt 1,6 sind. Im Jahr 2018 ergab eine Studie, dass die Wahrscheinlichkeit, erschossen zu werden, für männliche Jugendliche und junge Männer im Alter zwischen 15 und 29 Jahren in Schweden zehnmal so hoch ist wie in Deutschland. Die Waffengewalt mit Schusswaffen ist im Jahr 2023 auf das zweieinhalbfache des europäischen Durchschnitts angestiegen.

(red, Reuters, APA, 29.9.2023)