Nudeln sind als Mittagessen in Wiener Kindergärten beliebt.

Erhält jedes Kind an jedem Tag zumindest eine warme Mahlzeit? Die Debatte darüber hat Kanzler Karl Nehammer vergangene Woche ungewollt losgetreten, als ein Video publik wurde, das Nehammer bei einem Auftritt vor ÖVP-Funktionären in Hallein zeigt. Für Eltern, die sich kein warmes Essen für ihre Kinder leisten können, hatte er einen Tipp: Das billigste Mahl gebe es in Österreich bei McDonald's, rechnete der Kanzler vor: Ein Hamburger koste dort 1,40 Euro, inklusive Pommes seien es 3,50 Euro.

Eine warme – aber auch gesunde – Mahlzeit für jedes Kind propagiert die SPÖ bereits seit geraumer Zeit. Am Mittwoch erneuerte SPÖ-Chef Andreas Babler sein Ansinnen. Um Eltern in finanziellen Notsituationen zu unterstützen, forderte Babler, dass alle Kinder in Kindergärten und Pflichtschulen – also Volksschulen und Sekundarstufe I – gratis zu Mittag essen sollten.

Selbst hat Babler als Bürgermeister von Traiskirchen zuletzt die gemeindeeigene "Volxküche" vorgestellt. Diese soll die Kindergärten und Schulen mit gesundem regionalem Essen versorgen, das Konzept stammt vom Gastronomen und ehemaligen Neos-Abgeordneten Sepp Schellhorn. Kinder aus Familien mit wenig Geld sollen das Essen gratis bekommen, für andere gibt es je nach Einkommen Ermäßigungen. Ein Gratisangebot für alle Kinder und Jugendlichen könne die Stadt mit ihrem Budget nicht stemmen, heißt es.

Der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ) und der Gastronom und Ex-Neos-Mandatar Sepp Schellhorn bei einem Medientermin zum Thema "Kinderessen neu denken".
APA/ROBERT JAEGER

Aber stimmt es tatsächlich, dass sich Eltern das Essen für ihre Kinder nicht leisten können? Zahlen liefert die Statistik Austria in der vierteljährlichen Analyse "So geht's uns heute". Laut dieser repräsentativen Befragung unter rund 3.000 Menschen hatten im ersten Quartal des heurigen Jahres 9,5 Prozent der 18- bis 74-Jährigen nicht das Geld, um sich "ein Hauptgericht jeden zweiten Tag" zu leisten – also eine vollwertige Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder entsprechenden vegetarischen Zutaten. Bei Kindern unter 18 Jahren beträgt der Anteil 10,6 Prozent. Allerdings handelt es sich bei den Angaben um subjektive Einschätzungen der Befragten. Im zweiten Quartal, das zeigen die im Oktober veröffentlichten Zahlen, ging der Anteil etwas zurück: Bei Erwachsenen auf 7,8 bei Kindern unter 18 Jahren auf 7,4 Prozent.

900 Millionen Euro für Mittagessen

Derzeit befinden sich in ganz Österreich rund eine Million Kinder in Kinderbetreuung, Volksschulen oder der Unterstufe, rechnet die SPÖ vor. In der Traiskirchner "Volxküche" kostet eine Mahlzeit 5,40 Euro, bei diesem Preis würden die Kosten für ein Mittagessen für Kinder in ganz Österreich jährlich etwa 900 Millionen Euro betragen. "Das ist weniger Geld, als die Regierung für die Senkung von Konzernsteuern pro Jahr ausgegeben hat. Wir können sofort ein Gratismittagessen für die Kinder in Österreich finanzieren, wenn wir die Senkung der Konzernsteuern zurücknehmen. Wir müssen es nur wollen", erklärt Babler in einer Aussendung.

In Wien bezahlen Eltern 79,95 Euro pro Monat, wenn ein Kind eine städtische Kinderbetreuungseinrichtung besucht, die allermeisten privaten Einrichtungen bewegen sich ebenfalls in diesem Bereich, heißt es im Büro des zuständigen Bildungsstadtrats Christoph Wiederkehr (Neos). Dafür bekommen die Kinder eine Vormittagsjause, ein Mittagessen und eine Nachmittagsjause angeboten – mit Obst und Gemüse. Was in den kindgerechten Gerichten nicht drin ist: Geschmacksverstärker, Konservierungsstoffe, Palmöl und Gentechnik.

Allerdings können Eltern auch von den Essenskosten befreit werden. "Hier wurde die Bemessungsgrundlage ab September angehoben, damit mehr Menschen davon profitieren", erklärt ein Sprecher. Voraussetzung für die Befreiung der Wiener Eltern ist seither der Bezug von Mindestsicherung oder ein monatliches Netto-Einkommen unter 1.864,94 Euro. Zum Netto-Einkommen zählt auch die Familienbeihilfe aller im Haushalt lebenden Kinder.

Ob sich Wien eine Befreiung vorstellen könnte? "Es ist unser vorrangiges Anliegen, die Teilhabe an Bildungs- und Betreuungsangeboten zu stärken und diese für alle Familien, unabhängig vom Einkommen der Eltern, zugänglich zu machen", heißt es. Die Anpassung der Bemessungsgrundlage für die Befreiung vom Essensbeitrag im Kindergarten sei ein wichtiger Schritt gewesen. Ein weiterer sei nun das kostenfreie Mittagessen in städtischen Offenen Volksschulen.

In Wien teils Gratisschulessen

Denn seit diesem Schuljahr ist das Mittagessen in offenen Ganztagspflichtschulen gratis. Rund 23.500 Kinder und deren Familien sollen davon profitieren, gab Bildungsstadtrat Wiederkehr im Frühjahr bekannt. Die Eltern ersparen sich damit 4,42 Euro pro Tag und Kind in jenen Schulen, die keinen verschränkten Unterricht, sondern Schule am Vormittag und Betreuung am Nachmittag anbieten.

Die Stadt investiere im Jahr 2023 knapp 38 Millionen Euro für kostenfreies Mittagessen in ganztägig geführten Pflichtschulen, hieß es laut den Presseunterlagen. Im Folgejahr seien knapp über 44 Millionen Euro vorgesehen. Zusammen mit der im Herbst 2020 eingeführten verschränkten Gratis-Ganztagsschule (dort sind Betreuung und Essen gratis) komme nun rund 50.000 Kindern und Jugendlichen in Wien eine Entlastung zugute, hieß es. Da die privaten und auch städtischen Horte eine andere Organisationsform sind und auch nicht Teil des Schulbetriebs sind, sind diese Einrichtungen allerdings aktuell nicht von der Kostenbefreiung umfasst.

"Wien ist hier bundesweit Vorreiter", betonte man am Mittwoch erneut. Auch wenn man daran arbeite, das Angebot noch weiter zu verbessern. Das langfristige Ziel bleibe es allerdings, die "Entlastung der Familien und den Zugang zur Tagesbetreuung flächendeckend weiter zu stärken. Die Stadt Wien nimmt für Verpflegung und Tagesbetreuung jährlich über 200 Millionen Euro in die Hand und ist im Ausbau österreichweit an der Spitze."

Ermäßigungen im Ländle

Und auch in Vorarlberg gibt es seit einem Jahr eine Unterstützung für Eltern mit finanziellen Nöten. Im Ländle können alle Kinder, deren Eltern oder Erziehungsberechtigte Sozialhilfe oder Grundversorgung beziehen, in elementarpädagogischen Einrichtungen oder in Schulen ein "warmes und gesundes Mittagessen" zu einem niedrigen Preis bekommen, wie es in einer Infobroschüre des Landes heißt. Das Land und die Gemeinden unterstützen jedes Mittagessen demnach mit einem maximalen Beitrag von fünf Euro. Kostet ein Essen also beispielsweise 6,50 Euro, muss die betroffene Familie nur 1,50 Euro bezahlen.

"Die Unterstützung ist eine präventive Maßnahme, die zum einen die Gesundheit fördert, indem das Essen aus frischen regionalen Produkten zubereitet wird, und die zum anderen gesellschaftliche Teilhabe und soziale Kontakte stärkt und dadurch die Bildungschancen der Kinder erhöht. Gleichzeitig werden – insbesondere alleinerziehende – Eltern entlastet und unterstützt", sagte Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) bei der Präsentation des Angebots. Aktuell leben in Vorarlberg etwa 1.800 Kinder in Familien mit Sozialhilfebezug, heißt es in einer Aussendung des Landes. Für die Startphase des Projekts wurden 500.000 Euro budgetiert. Das entspreche also einer Hilfe für circa 30 Prozent dieser Kinder.

Für alle anderen gibt es nur leichte Kostenermäßigungen. In manchen Gemeinden gibt es im Kindergarten etwa Geschwisterrabatte bei den Essensbeiträgen. So bezahlt in Lustenau das jüngste Kind beispielsweise den vollen Beitrag, das zweite Kind 50 Prozent und jedes weitere Kind 25 Prozent – wenn die Kinder dieselbe Einrichtung besuchen. Wer im Kindergarten die Voraussetzungen für ermäßigte Elternbeiträge erfüllt, bezahlt fünf Euro pro Essen und damit nur zehn Cent weniger. In die sogenannte soziale Staffelung fallen neben Eltern, die Mindestsicherung beziehen, auch jene, die Wohnbeihilfe beziehen oder bestimmte Grenzwerte beim Netto-Haushaltseinkommen unterschreiten.

Tirol: Bedarf müsste evaluiert werden

Auch im Nachbarbundesland Tirol wird das Mittagessen in den Kinderbetreuungseinrichtungen über einen Selbstkostenbehalt vonseiten der Eltern abgedeckt. Dieser orientiere sich nach Bedarf und regionalem Angebot und variiere je nach Einrichtung – grundsätzlich liege der durchschnittliche Beitrag in einem Hort in Tirol bei 4,80 Euro pro Tag, heißt es aus dem Büro der zuständigen Bildungslandesrätin Cornelia Hagele (ÖVP). Über den Kinderbetreuungszuschuss stelle das Land eine Förderung für den finanziellen Aufwand für die Kinderbetreuung zur Verfügung. Abhängig vom Familieneinkommen beträgt die Förderung demnach zwischen 40 und 60 Prozent der nachgewiesenen Betreuungskosten.

Ein ausgewogenes Mittagessen sei für Kinder laut Hagele besonders wichtig, "um sie mit allem was für ein gesundes Wachstum und eine optimale Entwicklung benötigt wird, gut zu versorgen. Zudem kann ein gesundes Mittagessen zu einer besseren kognitiven Leistungsfähigkeit beitragen und sich positiv auf die Lernfähigkeiten und die soziale Entwicklung von Kindern auswirken". Derzeit werde das Angebot eines Mittagessens in allen Kinderbetreuungseinrichtungen in Tirol mit Öffnungszeiten nach 13 Uhr bereits umgesetzt. "Ein besonderes Augenmerk wird dabei vor allem auf die Regionalität der Zutaten und eine gesunde Ernährung gelegt. Dieses Angebot kostenlos zur Verfügung zu stellen, bedarf einer konkreten Evaluierung des Bedarfes und der Finanzierung". Diesbezüglich würden in Tirol derzeit vielfältige Maßnahmen im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung durchleuchtet, sagt Hagele. "Das Angebot eines kostenlosen Mittagessens wäre hinsichtlich der Unterstützung für einkommensschwächere Familien anzudenken."

Was auf den Teller kommt

Wie im Osten des Landes, in Traiskirchen, setzen auch im Westen bereits einige Gemeinden auf eigene Großküchen, in denen Mittagessen für Kindergärten und Schulen frisch und mit regionalen Produkten zubereitet werden. In einer solchen Großküche werden in Lustenau täglich knapp 700 Mittagessen zubereitet – nicht nur für Kinder in insgesamt 17 Kinderbetreuungseinrichtungen, Volks- und Mittelschulen, sondern auch für die Seniorinnen und Senioren im Pflegeheim. Und auch die Menüs für "Essen auf Rädern" werden hier zubereitet.

Bei den Kindern werde dabei auf pflanzenbasierte Nahrung gesetzt, einmal pro Woche gibt es Fleisch, wie Betriebsleiter Thomas Urban im ORF Vorarlberg sagte. Es werde versucht, hauptsächlich saisonale Lebensmittel aus der Region mit einem Bioanteil von über 60 Prozent zu verarbeiten. Am Donnerstag standen nach einem Mais-Paprika-Salat "Kartoffel-Erbsen-Bratlinge an fruchtiger Tomatensauce mit gratiniertem Blumenkohl" für die Kinder auf dem Speiseplan. Nachtisch: Nougatpudding. (Lara Hagen, Oona Kroisleitner, 4.10.2023)