Auf dem Foto reicht der Vertreter des angegriffenen europäischen Staates der Vertreterin des bedrohten europäischen Staates die Hand. Neben der Aufnahme, die den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani am Freitag beim Gipfel in Granada zeigt, schrieb die Kosovarin auf der Plattform X: "Widerstandsfähigkeit. Entschlossenheit. Hoffnung." Und das können wirklich beide brauchen.


Tatsächlich verbindet Ukraine und Kosovo vieles. So wie Wladimir Putin nicht akzeptiert hat, dass die Sowjetunion zerfiel und damit der Einfluss auf Nachbarstaaten wie die Ukraine, aber auch Georgien und die Republik Moldau, zu Ende sein sollte, so akzeptiert der autokratisch regierende serbische Präsident Aleksandar Vučić offenbar nicht, dass Jugoslawien zerfallen ist und übt weiterhin Einfluss in den Nachbarstaaten Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Kosovo aus. Für die Staaten Bosnien und Herzegowina und Kosovo ist dieses Vorgehen mittlerweile existenzbedrohlich.

Osmani ist überzeugt, dass die serbische Miliz, die am 24. September im Ort Bansjka von der kosovarischen Polizei überrascht wurde, im Auftrag des serbischen Staates den Norden Kosovos annektieren wollte, sowie Putin die Krim im Jahr 2014. Der Anführer der serbischen Miliz, die von der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock "Terrorbande" genannt wird, Milan Radoičić wurde mittlerweile in Belgrad wieder auf freien Fuß gesetzt. Gleichzeitig wurde die tapfere serbische Aktivistin, Aida Ćorović zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie in Belgrad Eier auf ein Wandbild, das den Massenmörder und verurteilten Kriegsverbrecher Ratko Mladić zeigt, geworfen hatte.

Hat der Kreml seine Finger im Spiel?

Vieles weist darauf hin, dass der Staat Serbien bei der geplanten und durch die kosovarische Polizei vereitelten Terroraktion am 24. September seine Finger im Spiel hatte. Aber es gibt auch Hinweise, dass der Kreml selbst über serbische Handlanger involviert war. Dem STANDARD liegen Unterlagen vor, die besagen, dass der Anwalt von Radoičić, Goran Petronijević, für den Kreml auch an der Zerstörung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine arbeitet.

Laut einem Schreiben der ukrainischen Botschaft in Serbien, datiert am 18. September 2023, also vor dem Terroranschlag gegen Kosovo, nahm Goran Petronijević nämlich mit zwei anderen Serben als "Beobachter" an den illegalen Wahlen in den von Russland okkupierten Gebieten der Ukraine vom 26. August bis 10. September dieses Jahres teil. „Auf diesem Wege schlossen sich diese Personen, Versuchen des Kreml an, die russische Aggression zu legalisieren und den Versuchen der illegalen Annexion und der vorübergehenden Kontrolle über einen Teil der Gebiete des souveränen und unabhängigen europäischen Staates Ukraine. In diesem Zusammenhang appelliert die Botschaft der Ukraine in der Republik Serbien an die europäischen Vertretungen unserer Partner in Belgrad, Sanktionen gegen die betreffenden Bürger einzuleiten", heißt es in dem Schreiben.

Appell an Europa

Im Klartext: Die westlich orientierten Europäer sollen endlich etwas gegen die Kooperation zwischen Russland und Serbien gegen die Ukraine unternehmen. Anwalt Petronijević, der in Serbien von TV-Show zu TV-Show gereicht wird, war nicht nur Anwalt von einigen Kriegsverbrechern, sondern selbst an der jahrelangen Unterdrückung der Albaner im Kosovo beteiligt. Noch im Jahr 2000 verurteilte er als Richter im Kosovo 150 Albaner wegen angeblicher "Terror-Verbrechen" zu insgesamt 1.600 Jahren Gefängnis.

Als Gast bei TVHappy gab Anwalt Petronijević zu, dass er als Richter 1998 im Kosovo, einem ermordeten Albaner, dem ein serbischer Polizist ein Kreuz in die Stirn geritzt hatte, Schlamm auf die Stirn geschmiert hatte, um Beweise für Kriegsverbrechen zu verbergen. Nun verteidigt er den Chef einer Terrorbande.

False-Flag-Operation

Und diese wollte in einem Täuschungsmanöver sich als Teil der Nato-geführten Kfor-Truppe ausgeben und offenbar die kosovarische Polizei dazu bringen, das Kloster Banjska zu beschießen und damit Bilder zu erzeugen, die die Kosovaren diskreditieren sollten. Das kosovarische Innenministerium gab bekannt, dass sich unter den nach den Terroranschlägen beschlagnahmten Uniformen auch italienische Kfor-Uniformen befanden. Die Situation hätte ganz leicht aus dem Ruder laufen können, wenn nicht die kosvarische Polizei professionell gehandelt hätte.

Nach dem Gefecht wurden in Banjska und Umgebung auch schwere Waffen sichergestellt.
Nach dem Gefecht mit serbischen Milizkämpfern hat die kosovarischen Polizei in Banjska und Umgebung auch schwere Waffen sichergestellt.
REUTERS/LAURA HASANI

Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, der vergangene Woche ins Kosovo kam, meinte, dass er großen Respekt vor der "sehr vernünftigen Reaktion" der kosovarischen Regierung und Polizei habe. Die kosovarische Regierung warnt seit Monaten davor, dass der Kreml eine zweite Front der Destabilisierung in Südosteuropa plane.

Kreml rekrutiert laut BBC serbische Kämpfer

Der Kreml unterstützt Serbien seit Jahrzehnten, wenn es um den Kosovo und die hegemonialen Interessen Serbiens auf dem Balkan geht. Eine Zusammenarbeit zwischen Russland und Serbien legen auch die jüngsten Recherchen der britischen BBC nahe. Demnach rekrutiert der Kreml serbische Söldner und bringt sie in einem Studentenwohnheim in einem Vorort von Moskau unter, mit Plänen zur Bildung einer vollwertigen serbischen Brigade als Teil der russischen Armee.

Involviert ist demnach der in Russland lebende Sohn des Ex-Präsidenten Jugoslawiens, Slobodan Milošević, Marko Milošević. Laut der BBC sei nach dem 15. September eine Gruppe von 30 Söldnern aus Serbien in die Region Moskau gekommen, um Verträge abzuschließen und sich der 106. Luftlandedivision anzuschließen.

Sanktionen gegen Serbien?

Innerhalb der EU-Staaten gibt es eine Debatte, ob man gegen Serbien Sanktionen beschließen soll. Doch weil die illiberalen und antiwestlichen Kräfte innerhalb der EU stark sind, gibt es keinen Konsens. Der ungarische Premier und Unterstützer des serbischen Regimes, Viktor Orbán, meinte Sanktionen gegen Serbien seien "lächerlich und unmöglich". Er beschuldigte stattdessen Kosovo, die Spannungen geschürt zu haben.

Viktor Orbán beim EU-Gipfel im spanischen Granada.
Viktor Orbánbeim EU-Gipfel im spanischen Granada.
EPA/PEPE TORRES

In den vergangenen Wochen und Monaten hatten auch viele westliche Diplomaten und Politiker dieses Narrativ aufgenommen und die Regierung unter dem kosovarischen Premier Albin Kurti kritisiert, obwohl es das Regime von Vučić war, das beständig eskaliert hatte. So wurden 30 Kfor-Soldaten von serbischen Kriminellen Ende Mai attackiert und drei kosovarische Beamte wurden von serbischen Beamten im Juni entführt. Die EU-Staaten führten aufgrund dieses Narrativs sogar Sanktionen gegen Kosovo ein.

Weshalb westliche Diplomaten und Politiker dieses Narrativ übernahmen, ist bislang ungeklärt. Offensichtlich ist aber, dass es auch von dem für den Dialog zwischen Serbien und Kosovo zuständigen EU-Diplomaten Miroslav Lajčák unterstützt wurde. Lajčák und einige US-Diplomaten wie der Botschafter in Belgrad, Christopher Hill und der Balkan-Beauftragte Gabriel Escobar machten einseitig Druck auf Kosovo, einen Verband der serbischen Gemeinden zu schaffen. Andere Vereinbarungen, die Serbien einhalten hätte sollen, wurden als zweitrangig betrachtet.

Vertrauensverlust

Die Kosovaren verloren deshalb das Vertrauen in Lajčák. Dieser sagte auf einer Konferenz am Freitag, dass er die Regierung von Kurti nur deshalb kritisiert und eine einseitige pro-serbische Position bezogen habe, weil er der Überbringer von unangenehmen Nachrichten gewesen sei. Lajčák wischte jegliche Kritik an seiner Verhandlungsführung vom Tisch, obwohl der slowakische Diplomat in den vergangenen Jahren keine Erfolge im Dialog aufweisen kann und unter seiner Mediation die Verhältnisse immer schlechter wurden.

Der Kosovo-Berichterstatter im EU-Parlament, der Österreicher Lukas Mandl (ÖVP), meint nun zum STANDARD: "Die Appeasement-Politik mit dem Vučić-Regime ist als gescheitert zu bewerten. Vučić und seine Leute stehen vor allem der Zukunft Serbiens im Weg." Das serbische Regime bedrohe Nachbarstaaten und versuche Einfluss zu nehmen, "derzeit besonders in Montenegro, und schon lange über die so genannte Republika Srpska zur Verhinderung einer Stabilisierung von Bosnien und Herzegowina. Und der Nachbarstaat Kosovo wird nicht nur bedroht, sondern sogar attackiert."

Mandl fordert neue Serbien-Politik

Wenn es die EU-Kommission ernst meine mit dem Westbalkan, müsse sie ihre Serbien-Politik überdenken. Mandl erinnert daran, dass das EU-Parlament bereits kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs seine Sorge zum Ausdruck gebracht habe, dass Serbien sich nicht von Putins Russland distanziere. „Aber die EU-Kommission hat mit Vučić und seinen Leuten weitergemacht, als wäre nichts geschehen". Mitte Oktober 2023 wird das EU-Parlament eine Resolution zur Lage zwischen Kosovo und Serbien beschließen. Mandl pocht darauf, dass Serbien Kosovo anerkennen muss.

Gleichzeitig empfiehlt er "der kosovarischen Führung händeringend, sich nicht provozieren zu lassen, sondern in Ruhe und Abstimmung mit den vielen Partnern in der gesamten freien Welt einen Schritt vor den anderen zu setzen". Die internationale Gemeinschaft solle darauf achten,“ dass es nicht zu einer weiteren Form der Republika Srpska kommt, wie sie in Bosnien und Herzegowina Unfrieden stiftet. Auf dem gesamten kosovarischen Territorium muss und wird weiterhin die kosovarische Verfassung gelten. Vučić suche nach Destabilisierung, was auch Putin wolle.

Offen ist nun, wie man auf europäischer und amerikanischer Ebene mit Serbien weiter umgehen wird. Sinnvoll wäre es möglicherweise, wenn der versuchte Terror-Anschlag und die paramilitärische Operation im Norden Kosovo am 24. September von unabhängigen europäischen Ermittlern genau untersucht würden, um festzustellen, ob und wie der Staat Serbien an den Vorgängen beteiligt war. Dann könnten fundiertere Entscheidungen getroffen werden. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 7.10.2023)