Viennale
Sich totschuften oder einen Coup wagen? In Rodrigo Morenos "Los delincuentes" ist die Antwort für den Bankangestellten Morán klar.
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Wer mit Geld zu tun hat, muss rechnen können. Der Bankangestellte Morán macht allerdings eine Rechnung auf, die erst in zweiter Linie finanziell ist. Seine Kalkulation geht so: Wenn er aus der Bank in Buenos Aires, in der er angestellt ist, 600.000 Dollar beiseiteschafft, muss er dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Danach hat er aber eine Menge Geld, wenn er sich nicht zu dumm anstellt.

Der Haft stehen zwanzig Jahre gegenüber, die Morán noch arbeiten müsste bis zur Rente. Für ihn ist die Sache klar, und schon bald ergibt sich eine Gelegenheit, die er ergreift. Nun braucht er nur noch einen Komplizen. Er weiht seinen Kollegen Román ein, und dem bleibt nicht viel übrig, als mitzuspielen.

So weit folgt Los delincuentes mehr oder weniger orthodox den Spuren eines Thrillers: Wie schlägt man die Bank? In der Regel gar nicht, aber Morán, der alles andere als ein Genie ist, hat immerhin eine Lücke im System genützt. Dass er es war, ist schnell klar – so richtig können der Vorgesetzte Garrincha und die Ermittlerin Laura (Laura Paredes, bekannt aus Trenque Lauquen und La Flor) gegen ihn aber nicht vorgehen, denn damit würde sich die Bank öffentlich bloßstellen.

Surreal auf Argentinisch

Morán landet schließlich trotzdem im Gefängnis. Nun erst beginnt Rodrigo Moreno, die Fesseln des Genres abzustreifen. Und Los delincuentes reiht sich in ein argentinisches Kino ein, das schon seit einer Weile einen ganz eigenen Surrealismus ausprägt.

Die vielen losen Enden, die man von Mariano Llinás (La Flor) und Laura Citarella (Trenque Lauquen) kennt, sammelt Moreno alle wieder ein. Dabei spielt er mit Motiven des Identitätstauschs: Morán und sein Freund Román tragen nicht von ungefähr Namen, die sich leicht verwechseln lassen. Als Román weit draußen in der Provinz beim Vergraben der Beute auch noch auf Morna, Norma und deren Freund Ramon trifft, ist sofort eine schicksalhafte Konstellation etabliert. Dabei geht es halb ironisch, halb grundsätzlich um das Motiv für Moráns Coup: Er war ja bereit, dreieinhalb Jahre Unfreiheit gegen die anschließende große Freiheit einzutauschen.

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Moreno breitet mit sichtlichem Vergnügen die Möglichkeiten eines müßigen, ungebundenen Lebens aus: im Gebirgsbach baden, tagelang einfach abhängen, Vinylplatten hören. Der argentinische Musiker Pappo und seine Band Pappo’s Blues geben dazu die Parole vor: Adonde Está la Libertad? Wo ist die Freiheit?

Morán ist in diesen Fragen eher der Luftgitarrist, als Frontmann macht er eher zweifelhafte Figur. Trotzdem wird er (in der Verkörperung von Daniel Elías) gerade dadurch zur idealen Hauptfigur, ein unwahrscheinlicher Held, der eine Geschichte in Gang setzt, die er bald nicht mehr im Griff hat. Indem er sich aber den eigentümlichen Logiken des Zufalls aussetzt und indem er auch ein wenig naiv den Möglichkeiten folgt, die sich ihm überraschend bieten, lässt er allmählich das Reich der Kalkulationen hinter sich. Und Rodrigo Moreno, dessen Drehbuch sicher genauestens durchkonzipiert ist, schafft es, Los delincuentes wie ein (dreistündiges!) vergnügliches Experiment aussehen zu lassen. (Bert Rebhandl, 14.10.2023)