Justine Triet
Justine Triet gewann heuer in Cannes die Goldene Palme für "Anatomie d'une chute"
APA/AFP/JOEL SAGET

Es ist die Pflichtübung bei jeder Festivalprogramm-Pressekonferenz: Wie hoch ist der Frauenanteil diesmal? Nicht immer sind die Zahlen erfreulich, gerade nach oben hin (also in Richtung der Hauptwettbewerbe) dünnt sich das Feld aus. Von anderweitigen Repräsentationsfragen ganz abgesehen ...
Aber wir wollen mal nicht meckern, denn dieses Jahr haben doch einige Regisseurinnen (erneut) auf sich aufmerksam gemacht und ihren Platz als zentrale Größen euro-amerikanischen Autorinnenfilms markiert. Eine Vorstellungsrunde:

Justine Triet: "Anatomie d'une chute"

Als erst vierte Frau gewann die 45-jährige Französin heuer die Goldene Palme in Cannes für ihren Gerichtsthriller Anatomie d’une chute (Anatomie eines Falls). Die Deutsche Sandra Hüller, die sich mit ihrem diesjährigen Cannes-Auftritt endgültig ihren Platz im internationalen Schauspielbusiness gesichert haben dürfte (kleine Randnotiz: Leider ist der Cannes-Jurypreisträger The Zone of Interest mit Hüller wegen Verleihproblemen nicht auf der Viennale zu sehen) spielt darin die Schriftstellerin Sandra, die des Mordes an ihrem Mann beschuldigt wird.

Vor Gericht wird nicht nur die Anatomie des Todessturzes aufgedröselt, sondern auch die der Ehe. Diese war geprägt vom beiderseitigen künstlerischen Ehrgeiz und von der Angst des Ehemanns, auf der Strecke zu bleiben. Grandios, die Streitszenen, die auf Tonband aufgenommen wurden, ebenso wie die Rolle des elfjährigen Sohnes. Weil er blind ist, versucht er den Tathergang über sein akustisches Erinnerungsvermögen zu rekonstruieren. Stimulierend für Augen, Ohren und Intellekt.
Gartenbaukino, 23. 10., 20.45 & 31. 10., 13.00

Madman Films

Sofia Coppola: "Priscilla"

Sofia Coppola
Sofia Coppola meldete sich heuer in Venedig mit "Priscilla" zurück.
AFP/GABRIEL BOUYS

Die 1971 geborene Tochter Francis Ford Coppolas hat einen distinkten Stil entwickelt, der dem ihres Vaters nicht ferner sein könnte – oder ihm dann doch wie ein Negativabzug gleicht. Bei Sofia Coppola stehen Frauen scheinbar im Vordergrund, immer aber unter der Gefahr, durch das Dekor, die Stofflichkeit der Kostüme und Bilder, in den Hintergrund zu rücken. Priscilla Beaulieu, spätere Presley, ist in der Verkörperung Cailee Spaenys (Newcomer-Preis in Venedig) eine typische Coppola-Heldin: Klein und zart, wirkt sie neben dem hünenhaften Elvis (Jacob Elordi misst fast zwei Meter) wie das Kind, das sie mit 14 Jahren noch ist. Die Beziehung ist kompliziert, das Modewort toxisch wäre angebracht, denn Elvis scheint sich tatsächlich ein Püppchen für sein Puppenhaus zu wünschen. Seine erotische Seite zeigt er anderswo und lässt seine für ihn schwärmende Braut dürsten. Ein schonungsloser Blick auf den King und seine Ehe mit Priscilla, die sich Stück für Stück hinauswindet aus der Plüschschatulle, in die sie hineingebettet wurde.
Gartenbaukino, 23. 10., 13.00; 25. 10., 6.30; 29. 10. 15.30

Angela Schanelec

Angela Schanelec
Angela Schanelec wurde für "Music" auf der Berlinale ausgezeichnet.
APA/AFP/STEFANIE LOOS

Angela Schanelec (Jg. 1962) macht die Art von Filmen, die man auf Filmfestivals nicht verpassen sollte. Zum einen, weil ein Kinostart ungewiss ist, zum anderen, weil sie zu den kompromisslosesten Formalistinnen des deutschen Kinos zählt. Das Publikum scheint Schanelec kaum im Kopf zu haben, vielmehr liegt ihr ganzer Fokus auf dem Herausmeißeln einzelner Einstellungen und Perspektiven. Im Schnitt bekommt das dann durchaus eine gewisse Art von pantomimischem Humor, den man etwa von Jacques Tati zu kennen vermeint.

Ihre Figuren wirken, als ob sie einem Jil-Sander-Katalog entstiegen seien, und bewegen sich tänzerisch-statuesk durch die wortkargen Gefilde mythologischer Erzählungen. Dass Schanelec in ihren letzten Filmen eine Liebe zu Griechenland entwickelt hat, verwundert da nicht. Auch Music, der heuer auf der Berlinale den Drehbuchpreis erhielt, spielt auf einer steinigen griechischen Insel. Das Meer glüht blau, die Story ist enigmatisch "ödipös".
Stadtkino, 20. 10., 17.45; Urania, 21 10., 21.00

GRANDFILM

Jessica Hausner

Jessica Hausner
An Jessica Hausners "Club Zero" schieden sich heuer die Geister in Cannes.
APA/GEORG HOCHMUTH

Gar nicht viel anders als die deutsche Kollegin (siehe oben) lässt sich auch die Wienerin Jessica Hausner (Jg. 1972) als formale Perfektionistin bezeichnen. Ihre Bilder sind durchkomponiert, die Farben abgestimmt, die Orte distinktiv. In Club Zero spielt Mia Wasikowska eine Ernährungsberaterin, die an einer britischen Schule großes Unheil anrichtet. Denn ihr Credo lautet: Gar nichts mehr essen. Ein Heilsversprechen, dass eine Handvoll Jugendliche aus verschiedenen Gründen verführerisch finden – zum Leidwesen ihrer hilflosen Eltern. Die gesummte Melodie des treibenden Percussion-Soundtracks von Markus Binder stammt übrigens von Hausner selbst.
Gartenbaukino, 22. 10., 18.30; Stadtkino, 24. 10., 15.00