Aus dem Hebenstreit wurde, auf den ersten Blick fast unverändert, das Stuwer am Schottentor.
Aus dem Hebenstreit wurde, auf den ersten Blick fast unverändert, das Stuwer am Schottentor.
Gerhard Wasserbauer

Es geht ein paar Stufen hinauf, dann ist rechts das Restaurant. Die Tür links führte über die vergangenen 40 Jahre zum Republikanischen Club. Der im Zug der Waldheim-Affäre gegründete Verein zur Stärkung von Geschichtsbewusstsein und Zivilgesellschaft finanzierte sich über die Jahre mit der Verpachtung des Restaurants. Es gibt ihn nach wie vor, inzwischen aber an neuer Adresse. Das Restaurant war zuletzt monatelang geschlossen, die Habitués, die zahlreichen Mittagsgäste aus den Kanzleien und Büros der Umgebung, fürchteten schon das Schlimmste.

Aber alles gut, das Restaurant mit der Doppelflügeltür, den alten Kastenfenstern und dem Fischgrätparkett ist seit ein paar Wochen wieder offen, die diskrete Wohnzimmeratmosphäre blieb erhalten, und auch die Küche darf sich nach wie vor der Wiener Küche widmen – sogar noch deutlicher als in den Jahren zuvor.

Nur heißt das Lokal jetzt nicht mehr nach dem Wiener Demokraten und Beinahe-Revolutionär des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Franz Hebenstreit, sondern nach dessen Zeitgenosse Johann Georg Stuwer, der als Feuerwerkpionier und Ballonfahrer der ersten Stunde vermerkt ist. Eskapismus statt Haltung? Das wäre eine ungerechte Interpretation. Den ursprünglichen Namen hatten sich die nunmehr ausgezogenen einstigen Vermieter ausbedungen, der neue, Stuwer am Schottentor, ergibt sich durch die neuen Betreiber: Roland Soyka ist der Wirt im Stuwer in der Leopoldstadt, seine Co-Betreiberin Elisabeth Hauser war über die vergangenen 27 Jahre Teilhaberin des Hebenstreit und seit vier Jahren Restaurantleiterin im Stuwer. Da Hebenstreit das Lokal war, das sie mit ihrem nunmehrigen Ex-Lebensgefährten aufgebaut hatte, schien ein Namenswechsel nur logisch.

Mit dem ersten Stuwer in der gleichnamigen Straße hat sich Soyka als Pionier im einstigen Bauchstich-Grätzl hinter dem Wurtselprater etabliert. Er holte ein altes Eckwirtshaus aus dem Koma, bekam einen massiven Schanigarten genehmigt und zeigte, wie sich die Wiener Küche mit ein paar klug gesetzten Akzenten auch als Szeneküche inszenieren lässt. Seine frisch herausgebackenen und mit allerhand Viktualien belegten Lángos etwa mögen angesichts der Prater-Nähe zwingend logisch wirken – auf die Idee musste man halt erst einmal kommen.

Da spielt die Säure

Die gibt es jetzt auch in der Innenstadt, und man wird sehen, wie erfolgreich sich die aus dem Prater-Umfeld exportieren lassen. Beef Tartare wird akkurat von Hand geschnitten statt, wie immer noch verbreitet, zu pastösem Brei faschiert. Dazu gibt es knackig eingelegte Schwarzwurzeln und eine kühle Schwarzwurzelcreme – ebenso ungewöhnliche wie überzeugende Idee.

Saftiges Gansl mit Erdäpfelknödel und Rotkraut.
Saftiges Gansl mit Erdäpfelknödel und Rotkraut.
Gerhard Wasserbauer

Gebackenes Lammbries gerät ideal zart unter der Panier, dazu gibt’s butterweich geschmorten Sellerie, sauer eingelegte Kirschen und Ponzu-Aioli – wieder sehr individuell, mit gekonntem Säureakzent aber um nichts weniger passend kombiniert. Gansl ist (siehe Bild) auch schon auf der Karte, das kommt vergleichsweise traditionell – aber mustergültig saftig gebraten – mit Erdäpfelknödel und Rotkraut zu Tisch. Beim Kraut werden Spalten von der Quitte mitgedünstet, gibt abermals einen köstlich fruchtigen, animierend säuerlichen Kick.

Der mit Semmelkren gratinierte Tafelspitz ist auch eine gute Idee, nur sollte das Fleisch einen Tick weniger fest sein – wenn schon Suppenfleisch, dann bitte weich! Hinterher ist Biskuitschmarren mit Rumrosinen und Zwetschkenröster die richtige Wahl: knusprig, flaumig, wie er sein soll. Die Weinkarte ist einstweilen noch schmal, zeigt aber Kante: Kolfok "Querschnitt" ist ebenso glasweise zu haben wie Markus Altenburgers famoser Neuburger "betont" – sehr gute Ansage, das! (RONDO, Severin Corti, 20.10.2023)