Auch ein halbes Jahr nach dem Ausbruch des Krieges zwischen den sudanesischen Streitkräften und der Miliz Rapid Support Forces (RSF) haben die Kämpfe nicht nachgelassen – im Gegenteil: Sie nehmen an Intensität noch weiter zu.

Nachdem die RSF-Milizionäre die Hauptstadt Khartum weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht haben, rücken die Kämpfer derzeit in Richtung der südlich gelegenen Gezira-Provinz vor: Sie gilt als Brotkammer des nordostafrikanischen Staates, in ihr haben Zigtausende von Bewohnerinnen und Bewohnern der Hauptstadt Zuflucht gesucht. Die RSF-Milizionäre sollen bereits die rund 30 Kilometer südlich von Khartum gelegene Stadt Ailafoun unter ihre Kontrolle gebracht haben. Augenzeugen berichten von der Flucht der Regierungssoldaten, denen die Munition ausgegangen sein soll.

Wagner-Lieferungen

In der Hauptstadt vermag die Armee offenbar nur noch einzelne Stützpunkte zu halten. Kürzlich soll sogar der Militärflugplatz Wadi Sayidna unter Beschuss gekommen sein, von dem aus die Streitkräfte ihre Angriffe auf RSF-Stellungen fliegen. Die Milizionäre sollen inzwischen auch über großkalibrige Artillerie verfügen, die ihnen möglicherweise von der in Libyen und der Zentralafrikanischen Republik stationierten Wagner-Truppe geliefert wurde.

Aus dem Sudan flüchtende Menschen mit Karren, auf denen ihr Hab und Gut liegt, treffen im Tschad ein.
Seit Monaten flüchten Menschen aus dem Sudan in den Tschad. Die allermeisten aber bleiben als intern Vertriebene im Land.
REUTERS/ZOHRA BENSEMRA

Nachdem Streitkräftechef Abdelfattah al-Burhan zunächst mehrere Monate lang von der RSF-Miliz umzingelt in seinem Hauptquartier in Khartum ausgeharrt hatte, verließ der De-facto-Staatschef des Sudan Ende August die Hauptstadt, um sich in der Hafenstadt Port Sudan zu etablieren. Von dort trat er mehrere Reisen ins Ausland an, um dort um Unterstützung zu bitten.

Hilfe für Abermillionen

Zumindest in Ägypten soll er erfolgreich gewesen sein: Die Regierung unter Präsident Abdelfattah al-Sisi habe ihm die Lieferung in der Türkei gekaufter Bayraktar-Kampfdrohnen versprochen, berichtete das Wall Street Journal.

Von den Ereignissen im Nahen Osten inzwischen überschattet, sind in den vergangenen sechs Monaten im Sudan mehr als 9.000 Menschen ums Leben gekommen, so die Uno. Über sieben Millionen (mehr als derzeit irgendwo anders in der Welt) mussten aus ihrer Heimat fliehen, 25 Millionen Menschen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.

Internationale Hilfswerke können jedoch weite Gebiete im Kriegsland gar nicht erreichen. Außerdem sind sie finanziell unzureichend ausgestattet: Von den 2,6 Milliarden US-Dollar, die von den Vereinten Nationen in diesem Jahr für nötig erachtet wurden, traf bislang nur ein Drittel ein. 700.000 Kinder seien ernsthaft unterernährt, melden die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Kinderhilfswerk Unicef: 100.000 Kinder seien auf akute Behandlung angewiesen. Einer Studie der US-amerikanischen Johns-Hopkins-Universität zufolge droht rund 10.000 Kindern bis Ende dieses Jahres der Hungertod.

UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sprach vom "Terror", dem die sudanesische Bevölkerung seit einem halben Jahr ausgesetzt sei, und von "ununterbrochenen schrecklichen Berichten über Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt". In den vergangenen sechs Monaten seien vor allem in Khartum, den Darfur-Provinzen und in der Provinz Kordofan "unzählige Leben sinnlos zerstört worden", klagte Tigere Chagutah, Ostafrika-Direktor von Amnesty International.

Ethnische Säuberungen

Die schlimmsten Vorkommnisse werden aus den Darfur-Provinzen gemeldet. Dort seien die RSF-Milizionäre in Kampagnen "ethnischer Säuberungen" verwickelt, sagte Großbritanniens Afrika-Minister Andre Mitchell nach der Auswertung von Satellitenaufnahmen und von Internetberichten des britischen Centre for Information Resilience (CIR). Dessen Erkenntnissen zufolge wurden im vergangenen halben Jahr mindestens 68 Dörfer im Darfur angezündet und vollständig zerstört.

In den meisten Fällen standen dahinter arabische RSF-Milizionäre. Opfer seien meist Angehörige des afrikanischen Volks der Massalit gewesen, gelegentlich habe es sich auch um Rivalitäten zwischen verschiedenen arabischen Milizen gehandelt.

Schlimme Erinnerungen

Die Vorgänge hätten "alle Merkmale ethnischer Säuberung", so Mitchell weiter: "Unschuldige Menschen werden aus ihren Häusern vertrieben und ermordet, Frauen vergewaltigt, Häuser angezündet, Vieh und Ernten zerstört."

Ähnliches hatte sich bereits vor zwanzig Jahren in Darfur ereignet: Damals kamen mehr als 300.000 Menschen ums Leben, wofür der damalige Präsident Omar al-Bashir verantwortlich gemacht wurde. Vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) wegen Kriegsverbrechen und Völkermords angeklagt, wurde al-Bashir nach der sudanesischen Revolution vor vier Jahren verhaftet. Ob er sich noch immer hinter Gittern befindet oder insgeheim freigelassen wurde, ist indessen nicht bekannt. (Johannes Dieterich, 19.10.2023)