Angehörige von Geiseln mit Schildern, auf denen die Namen und Gesichter der Geiseln zu sehen sind
Angehörige fordern in Tel Aviv die Freilassung jener israelischen Geiseln, die die Hamas am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppte. 1400 Menschen wurden bei dem Angriff der Terrororganisation ermordet.
EPA/ABIR SULTAN

Ich wollte kurz zum Strand, um das Meer in Gaza zu sehen, als mich ein paar Männer, die um eine Wasserpfeife saßen, zu sich winkten. Sie fragten mich auf Arabisch, woher ich käme. Ich antwortete mit einem der wenigen Worte, die ich sagen konnte, "Namsa", also Österreich. Einer der Palästinenser staunte, griff unter seine Jacke, legte mir eine Glock-Pistole in die Hand und sagte: "Namsa, very good."

Auch die jüdischen Siedler in Kiryat Arba waren bewaffnet. Sie führten mich und andere Besucher unter dem Schutz israelischer Soldaten durch das arabische Hebron zum Grab Abrahams. Ein junger, ein paar Jahre davor eingewanderter Mann zeigte, während er im anderen Arm seine Uzi-Maschinenpistole hielt, auf einen Hügel: "Der dort drüben wird auch einmal uns gehören."

Mein Jahr in Israel ist schon einige Zeit her. Ich arbeitete als Gedenkdiener im Holocaust-Museum Yad Vashem in Jerusalem. An den Wochenenden machte ich mich mit dem Bus auf den Weg. Als "Neutraler" konnte ich damals sichtbare und unsichtbare Grenzen überschreiten und mit den unterschiedlichsten Fraktionen ins Gespräch kommen. Doch am Ende meiner privaten "Fact-Finding-Mission" war ich kein bisschen schlauer als zuvor, wie dieser Konflikt zu lösen sei.

Weder konnte ich als Außenstehender wirklich nachvollziehen, was es für Israelis nach Holocaust und Vertreibung bedeutete, einen sicheren Hafen zu haben, über Jahrzehnte immer wieder angegriffen zu werden und in ständiger Angst vor Terror zu leben. Ebenso schwer fiel es mir, mich in die Lage der Palästinenser hineinzuversetzen, die über Jahrzehnte eine Art Kolonialregime ertragen mussten. Ich konnte nur erahnen, wie frustriert sie sein mussten nach den Versprechungen des Osloer Friedensabkommens, in eine eingeschränkte Eigenständigkeit entlassen zu werden, oder der Ausbreitung der Siedlungen im Westjordanland.

Weiter entfremdet

Seit meiner Zeit dort haben sich Israelis und Palästinenser noch weiter entfremdet. Nach der zweiten Intifada 2000 bis 2005 wurde auch der Grenzverkehr zwischen Gaza und Israel massiv eingeschränkt und die Arbeitsmigration stark reduziert. Eine neue Generation wuchs auf, die Israelis nur noch aus Hassvideos radikaler Islamisten kennt.

Ariel Sharon galt damals als radikaler Nationalist. Heute wird er als der letzte Politiker gesehen, der das Land hinter sich hatte und Frieden hätte schließen können. Viele meiner israelischen Freunde wollten damals nichts mehr mit der Politik zu tun haben, einige verließen sogar das Land. In dieses Vakuum drängte ein zynischer, korrupter Antidemokrat: Benjamin Netanjahu.

Die Palästinenser schafften es nicht, eine moderne Staatlichkeit herzustellen. Die Hamas in Gaza baute ein Tunnelnetzwerk länger als die Pariser U-Bahn, aber wirtschaftliche Entwicklung zu fördern war nicht ihr Ziel. Im Westjordanland sieht es nicht viel besser aus. Arabische Nachbarländer zeigen Solidarität mit den Palästinensern nur dann, wenn es politisch opportun ist. Die jetzige Welle der Entrüstung wirkt teils heuchlerisch.

Heute bin ich noch ratloser als damals. Wie Frieden schaffen? Israelis und Palästinensern aus sicherer Ferne Ratschläge zu erteilen bringt den Konflikt einer Lösung aber nicht näher. (Philippe Narval, 29.10.2023)