Menschenmenge
Afghanische Flüchtlingen vor dem Grenzübergang Chaman.
AFP/ABDUL BASIT

Islamabad/Kabul – Die in Afghanistan regierenden Taliban haben angesichts der vom Nachbarland Pakistan geplanten Massenabschiebungen mehr Zeit für die Ausreise Geflüchteter gefordert. "Wir fordern Sie erneut auf, Afghanen nicht ohne Vorbereitung zwangsweise abzuschieben, sondern ihnen genügend Zeit zu geben", hieß es in einer Erklärung am Mittwoch. Nach pakistanischen Angaben sind in den vergangenen zwei Wochen mehr als 100.000 Afghanen ohne Papiere freiwillig in ihr Land zurückgekehrt.

Anschläge als Hintergrund

Die Menschen seien beim nordwestlichen Grenzübergang Torkham ausgereist, teilte ein pakistanischer Regierungsvertreter am Mittwoch mit. Pakistan hatte allen Einwanderern ohne Papiere eine Frist bis diesen Mittwoch gesetzt, um das Land zu verlassen. In Pakistan leben nach Angaben der Regierung rund vier Millionen Afghanen, rund 1,7 Millionen davon ohne Papiere. Die Taliban hatten empört auf die Pläne Pakistans reagiert, illegal eingewanderte Afghanen notfalls gewaltsam auszuweisen.

Hintergrund der Ausweisungspläne sind nach Angaben der Regierung in Islamabad zahlreiche Anschläge in Pakistan. 14 der 24 Selbstmordattentate in diesem Jahr seien von Afghanen verübt worden, hatte die Regierung mitgeteilt.

"Mehr als 10.000 Afghanen haben gestern die Grenze überquert, und wir erwarten, dass weitere 25.000 heute folgen werden", sagte ein Vertreter der pakistanischen Flüchtlingsbehörde am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur (dpa). 50 Lastwagen voller Menschen warteten nach Angaben eines Grenzbeamten in Torkham, wo sich einer der wichtigsten Grenzübergänge zwischen den beiden Ländern befindet, um diesen zu passieren. An gewöhnlichen Tagen passieren Behördenangaben zufolge bis zu 5.000 Menschen den Grenzübergang in Torkham, allerdings in beide Richtungen.

Mehrere Lastwagen
Pakistanischen Angaben zufolge warten Lastwagen voller Menschen vor Grenzübergängen. Das Foto stammt aus Chaman.
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Kritik am Umgang mit Geflüchteten

"Wir haben angefangen, illegale Migranten zu verhaften", sagte ein Polizeisprecher aus Karachi im Süden Pakistans am Mittwoch der dpa. In verschiedenen Teilen des Landes wurden Abschiebezentren eingerichtet, wo Flüchtlinge ohne Aufenthaltsgenehmigung vor der Abschiebung untergebracht werden sollen, wie Innenminister Sarfraz Bugti am Dienstag zum Ablauf der Frist sagte.

Human Rights Watch hatte am Dienstag den Umgang der Behörden mit afghanischen Geflüchteten ohne Aufenthaltsstatus kritisiert. Diese würden durch Drohungen, Missbrauch und Verhaftungen dazu gedrängt, nach Afghanistan zurückzukehren. Die Menschenrechtsorganisation wies darauf hin, dass von diesem Mittwoch an nun auch Afghanen die Abschiebung droht, die in Pakistan auf eine Weiterreise in die USA, Großbritannien, Deutschland oder Kanada warteten. Großbritannien hatte vor Ablauf der Frist nach pakistanischen Behördenangaben Afghanen mit Aufnahmezusage aus dem Land ausgeflogen.

Bericht: Taliban üben weiter Druck auf Hilfsorganisationen aus

Auch Afghanistan wird kritisiert. Einem Bericht zufolge üben die Taliban weiterhin Druck auf Hilfsorganisationen aus. Alleine im August seien 26 Entwicklungshelfer festgenommen worden, hieß es in einem am Mittwoch veröffentlichten Quartalsbericht des US-Generalinspekteurs für den Wiederaufbau in Afghanistan (Sigar). Darüber hinaus hätten Vertreter der autokratischen Taliban sensible Daten eingefordert und versucht, Einfluss auf die Programme auszuüben.

Der Quartalsbericht des US-Generalinspekteurs für den Wiederaufbau in Afghanistan

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Der Quartalsbericht des US-Generalinspekteurs für den Wiederaufbau in Afghanistan

Als direkte Folge der anhaltenden Einflussnahme wurden laut Sigar im August 49 Programme der humanitären Uno-Partner vorübergehend ausgesetzt. Auf dem Stand von September seien davon nur 13 Maßnahmen wieder aktiv. Den Druck der Behörden hatte Sigar in einem früheren Bericht als "Aspekt einer intensiven Strategie zur Festigung der Macht" beschrieben. Die Taliban selbst werfen Hilfsorganisationen in der Regel vor, Gelder nicht effektiv genug einzusetzen.

Die Taliban hatten im August 2021 in Afghanistan nach rund zwei Jahrzehnten wieder die Macht an sich gerissen. Trotz der Ankündigung, moderater regieren zu wollen, wurde die Taliban-Herrschaft zuletzt autoritärer und dogmatischer. Frauen und Mädchen sind aus dem öffentlichen Leben weitgehend ausgegrenzt. Das Land leidet weiterhin unter einer humanitären Katastrophe. (APA, red, 1.11.2023)