Putin
Mit Diplomatie schafft sich Russland kaum Gehör: Präsident Wladimir Putin.
via REUTERS/SPUTNIK

In der globalen Multikrise sind Gewissheiten gefragt. Oder zumindest Konstanten, an denen sich die bedrohlichen Entwicklungen der Weltpolitik irgendwie festmachen lassen. Dazu gehört auch die Vorstellung, dass so ziemlich alles, was das ohnehin labile internationale Machtgefüge weiter erschüttert, automatisch Russland in die Karten spielt.

Bei der jüngsten Gewalteskalation, die vor einem Monat mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel begann, ist das nicht anders. Und doch spricht vieles gegen die eigentümliche Fixierung auf die Idee, dass der Kreml in internationalen Konflikten ein Gewohnheitsrecht auf die Rolle des lachenden Dritten hat – und dadurch Rückenwind bekommt für seinen eigenen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Das bedeutet freilich nicht, dass entsprechende Ängste im Westen und vor allem in Kiew völlig aus der Luft gegriffen sind. Natürlich ist die Aufmerksamkeit für das Blutvergießen in der Ukraine im Schatten des Krieges zwischen Israel und der Hamas deutlich gesunken. Und wie der Dauerstreit im US-Repräsentantenhaus rund ums Budget gezeigt hat, drohen dabei auch handfeste Konsequenzen: Immerhin etwa spielten dort ultrarechte Trump-Anhänger die Unterstützung für Israel gegen die weitere Finanzierung der Ukraine-Hilfe aus.

Russlands fehlendes diplomatisches Gewicht

Verlockend erscheint auch die These, dass die Eskalation des Nahostkonflikts schon allein deshalb im Interesse Moskaus ist, weil sie sich auf den ersten Blick leicht in das russische Narrativ vom globalen Aufbegehren gegen die USA und ihre Verbündeten einbauen lässt. Die engen Kontakte Russlands zur Hamas auch nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober schlagen in diese Kerbe.

Dennoch steht Russland sich selbst im Weg, sobald es sich nicht nur durch Gewalt, sondern auch durch Diplomatie Gehör verschaffen will. Schon die Begründung für den Feldzug gegen die Ukraine war erratisch, oszillierte zwischen der angeblichen Bekämpfung von Nazis im Donbass und der Schaffung einer neuen Weltordnung mit den USA als Hauptfeind.

Im Nahen Osten wieder steht Moskau im Ruf, beim kurzfristigen Taktieren zum eigenen Vorteil besser zu sein als beim Aufbau stabiler Partnerschaften. Während US-Außenminister Antony Blinken dort gerade auf heikler Mission war, vernahm man aus Russland kaum mehr als die üblichen antiwestlichen Parolen. Der Kreml ist im Kriegsmodus. Im Ringen um diplomatisches Gewicht spielt ihm das gewiss nicht in die Karten. (Gerald Schubert, 6.11.2023)