Eine Zigarettenglut bewegt sich im stockdunklen Urwald auf und ab. Sie scheint zu schweben, ist aber festgeklemmt zwischen weiß schimmernden Zahnreihen. Eine Stimme grüßt mit samtenem Timbre: "Bonsoir." Es ist Hervé Larcher. Der Patron der Maison Rousse kommt von seinem allabendlichen Rundgang zurück. Bahnt sich einen Pfad aus dem knisternden Dickicht und tritt auf die von Fackeln erleuchtete Veranda ins Helle.

In einer Hängematte zwischen zwei Palmen auf einer tropischen Insel die Seele baumeln lassen.
In einer Hängematte zwischen zwei Palmen auf einer tropischen Insel die Seele baumeln lassen.
Getty Images/iStockphoto

Seine Gäste liegen dösend in bunten Hängematten, wippen mit einem Ti Punch in der Hand im Schaukelstuhl oder sitzen auf den Holzstufen des 200 Jahre alten Anwesens und lauschen in den surrenden Wald. Hervé schmunzelt zufrieden vor sich hin, ja, die Gäste sind "angekommen". Das braucht Zeit. Wenn sie mit ihren Mietwagen den Hang hinabrollen, ihre Autos vor der Kolonialvilla abstellen, Fort-de-France gerade eine Stunde hinter sich gelassen haben, sind sie noch längst nicht da. "Präsent schon", stellt der Rastafari fest, doch umgeben von einer diffusen Grundnervosität. Woran ich das merke? Na, sie rennen begeistert auf meine Hängematten zu, setzen sich kurz rein, springen gleich wieder raus, mit der Begründung, nur zu schaukeln, dafür hätten sie keine Zeit. Es gebe so viel zu tun, zu sehen ringsherum." Der Kreole wiegt nachdenklich den Kopf, sodass seine langen Dreadlocks hin und her hüpfen. Als ob jemand, der schaukelt, Zeit vergeuden würde!

Hervé findet die Dodine, so heißen die Hängematten auf Martinique, schön und existenziell. Deshalb stellt er sie auch selbst her. Das hat er von seinem Großvater gelernt. Als Kind half er ihm beim Ziehen der Vanille, bei der Ernte des Kaffees, beim Jäten der Yamswurzeln, und in den Verschnaufpausen lag er träumend in der Hängematte, das gefiel ihm so gut, dass er sich die Knüpftechnik fürs fabelhafte Abhängen vom alten Pierre abschaute.

Umgekehrter Regenbogen

Zwischen den Holzsäulen der Veranda sind seine bunten Exemplare festgeknüpft, sie sehen aus wie verkehrt herum angebrachte Regenbogen. "Ich meine, den Regenbogen braucht ja auch keiner, doch jeder liebt ihn. Hängematten sind ebenso überflüssig und doch unabkömmlich. Je länger meine Gäste darin liegen, desto besser geht es ihnen!", resümiert Hervé. "Warum? Die Hängematte gibt der Bewegung der Träume nach." Wenn Hervé alt ist, will er ein Buch schreiben über Bekenntnisse seiner Gäste beim Schaukeln: Geschichten von großen Träumen und kleinen Begebenheiten, vom leichten Leben und der schweren Liebe und von der langen Suche nach dem Glück. Aber jetzt ist er erst 40 und sammelt noch fleißig.

Der Rastafari Hervé Larcher betreibt auf Martinique ein relaxtes Gästehaus – und er stellt wunderbar gemütliche Hängematten in traditioneller Handarbeit her.
Der Rastafari Hervé Larcher betreibt auf Martinique ein relaxtes Gästehaus – und er stellt wunderbar gemütliche Hängematten in traditioneller Handarbeit her.
Foto: Birgit Weidt

Die Maison Rousse liegt im Norden des französischen Überseedepartements Martinique, von Saint-Pierre eine halbe Stunde entfernt. Ein lohnenswerter Ausflug führt von dort in das Städtchen am Karibischen Meer, das von wallenden Touristenströmen verschont geblieben ist und einen ganz eigenen Stil entwickelt hat, mit kreolischer Kultur. Der Grund dafür liegt lange zurück. 1902 übergoss der Vulkan Mont Pelée Saint-Pierre mit seiner Lava: Das pompöse Theater, die flotten Pferdebahnen und exquisiten Läden wurden zerstört. Tausende Menschen starben, und mit dem gepriesenen Charme der damaligen Hauptstadt, die gern als das "Paris der Antillen" bezeichnet wurde, war es ein für alle Male vorbei. Das Zepter übernahm von da an Fort-de-France.

Erst in den letzten Jahren rappelte sich Saint-Pierre auf und schüttelt das Image der toten Stadt ab. Kreolische Villen bekamen ihr Antlitz zurück, neue Geschäfte entstanden, der Markt an der Uferpromenade vergrößerte sich, und ein maritimes Sportzentrum entstand, wo Neugierige in die Vergangenheit hinabtauchen können – dort, wo dutzende Schiffe, die damals bei Ausbruch des Vulkans am Hafen lagen, versanken.

Hoch wie Kathedralen

Entlang der Uferpromenade, auf der sich Künstler und Musiker treffen, werden Musikanlagen mit wuchtigen Verstärkern aufgebaut und übertönen mit Zouk- und Reggae-Rhythmen die tosende Brandung der Wellen. Der Zouk ist nicht nur ein traditioneller, karibischer Musikstil, sondern der Tanz der Kreolen, ein erotischer Paartanz, bei dem beide Partner abwechselnd die Führung übernehmen und die Frau kräftig die Hüfte schwingt.

Er findet seinen Ursprung auf Martinique und Guadeloupe. Berühmt auf beiden französischen Antilleninseln ist die Band Kassav, die seit über 30 Jahre weltweit auftritt und den Zouk über die Karibik hinaus bekannt gemacht hat. Kassav benannte sich nach dem Maniokfladen Kassav, der sowohl süß mit Honig als auch salzig mit Trockenfisch gebraten wird und eine Art Nationalgericht ist.

Von Saint-Pierre ist es nicht weit zur ältesten Siedlung, dem Fischerdörfchen Le Prêcheur, das einst Zentrum der Zucker- und Kakaoindustrie war. Nicht weit zum Lieblingsort von Hervé, der Habitation Céron, einer Plantage aus dem 18. Jahrhundert: Und dort steht er, der imposanteste und größte Zamana von Martinique. Zamanas, das sind Bäume hoch wie Kathedralen, sie wachsen in den Wäldern und Hochebenen, mit ausladender Krone, die über hunderte Quadratmeter Schatten wirft. Wenn es regnet, falten sich die Blätter zusammen, damit das Wasser durch das Geäst hindurch die Erde erreicht. Sobald die Sonne scheint, fächern sie sich auf und schützen den Boden vor dem Austrocknen.

Nutzlose Bäume

Hervé wird oft gefragt, warum Zamanas so alt werden: "Na, weil sie nutzlos sind! Wäre ein Zamana brauchbar, was immer man auch darunter versteht, würde er gefällt und zu Tischen oder Stühlen verarbeitet. Doch weil man mit dem Holz nichts anfangen kann und auch mit den Früchten nichts, deshalb bleiben sie. Die Vögel bauen darin ihre Nester, und wir können uns in seinen Schatten setzen."

Auch die Boote liegen im Fischerdorf Le Prêcheur tagsüber mal faul herum.
Auch die Boote liegen im Fischerdorf Le Prêcheur tagsüber mal faul herum.
Birgit Weidt

Hervé liebt Hängematten, Zamanas und Rum, ein Getränk, für Müßiggänger, Tagediebe, Lebenskünstler, wie er meint, vor allem aber für Genießer und Kenner. Denn der Rum von Martinique gehört zur Weltspitze. Wie die meisten Bewohner der Insel trinkt er auch den weißen gemischt mit Fruchtsäften als Aperitif und den aromatischen Rhum Vieux nach dem Essen als Digestif. Und er brennt ihn am liebsten selbst. Auf seiner Pflanzung schneidet er das Zuckerrohr noch traditionell mit der Machete, befreit die Halme von Blättern und Enden, schüttet sie in die Presse. Der Rum auf Martinique wird nicht wie üblich aus Melasse, sondern aus Zuckerrohrsaft gebrannt und reift in Eichenfässern.

Historische Kulisse

In der Rumfabrik Clément bei Le François, eine der sieben Destillerien auf Martinique, ergänzt Hervé sein hausgemachtes Sortiment, kauft zu seinem frischen weißen noch den guten alten und zeigt seinen Gästen das wunderschöne Anwesen der uralten Fabrik: Nirgends kann man sich so gut in das Leben der Plantagenbesitzer aus der Kolonialzeit zurückversetzen wie hier im Park und der Villa, die wirkt, als seien die einstigen Bewohner gerade mal für fünf Minuten außer Haus: Die Betten sind aufgeschlagen, in der Küche steht der Topf auf dem Herd, und in der schwarzen Schreibmaschine klemmt noch ein halb beschriebenes Blatt Papier. Durch die herrliche Allee aus Kokos- und Königspalmen rauscht der Wind, raschelt durch die dicht beieinanderstehenden Bäume. Auf dem holprigen Weg ruckelt eine Pferdekutsche heran, feine Herrschaften mit weißen Sonnenschirmen stehen und plaudern – es wird gerade wieder ein historischer Film gedreht, eine Episode über die Rum-Barone von einst.

Die Geschichte der Rum-Destillerien auf Martinique reicht weit zurück. Den entscheidenden Anstoß einst gab der in Paris geborene Dominikanermönch Père Labat, der als Missionar auf die Antilleninsel kam. Ein gebildeter und streitlustiger Schlemmer, der mit Freibeutern dinierte, leidenschaftlich gern Wildschweine jagte und häufig Ärger mit seinen kirchlichen Vorgesetzten hatte. Er ließ Windmühlen erbauen, um die Rumproduktion – erheblich – zu steigern. Wenn die Hitze der Tropen aufs Gemüt drückt und ein Gläschen Rum einem gleich die Sinne raubt, ist es wieder an der Zeit, sich auszuruhen.

Zum Beispiel in einer Hängematte von Hervé, weit weg von einer eventisierten Welt, in der jeder nicht nur das Tun, sondern auch das Lassen rechtfertigen muss. "Die anderen gehen zur Arbeit, ich meinen Weg", sagt der Rastafari und spielt mit seiner Holzperlenkette des ach so nutzlosen Zamanas. (RONDO, Birgit Weidt, 12.11.2023)