Die Ärztekammer befürchtet Einschnitte bei Mitsprachemöglichkeiten, etwa bei der Ausschreibung von Kassenpraxen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Ärztekammer mit einem vertragslosen Zustand droht, der auch signifikante Auswirkungen auf Patientinnen und Patienten hätte. Hintergrund ist das Ringen um die geplante Gesundheitsreform, bei der die Ärztekammer massive Einschnitte ihrer Macht und weniger Mitsprachemöglichkeiten fürchtet. Mit ihrer aktuellen Drohung fordert die Kammer die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit der Bundesregierung und der Sozialversicherung.

Das Szenario, das die Ärztekammer derzeit zeichnet, sieht so aus: Wird der aktuelle Gesamtvertrag mit der Ärztekammer als Gegenüber aufgelöst, könne das "auch heißen", dass es zu einem vertragslosen Zustand kommt, wie Vizepräsident Edgar Wutscher erläuterte. Dann müssten die Patientinnen und Patienten die erbrachte Leistung zunächst direkt beim Arzt in der Ordination bezahlen – und würden nur 80 Prozent des Kassentarifs zurückerhalten.

Drohung rund um Mutter-Kind-Pass

Vor genau einem Jahr hatte Wutscher ebenfalls mit einem vertragslosen Zustand gedroht, ein entsprechender Beschluss wurde auch von der Bundeskurie gefasst. Damals ging es um die Verhandlungen zum Mutter-Kind-Pass, die Ärztekammer verlangte etwa die Anhebung der Honorare für Ärztinnen und Ärzte. Der vertragslose Zustand trat nie ein: Es kam stattdessen zur Einigung auf höhere Tarife und einer Ausweitung der Leistungen im Rahmen des neuen digitalen Eltern-Kind-Passes.

Bei den aktuellen Verhandlungen zur Gesundheitsreform ist die Position der Ärztekammer vor allem nach den internen Machtstreitigkeiten hingegen deutlich schwächer. Der seit Monaten tobende Führungsstreit in der Wiener Kammer lähmte die Interessenvertretung und hatte auch Auswirkungen auf die österreichweite Arbeit. Immerhin steht Präsident Johannes Steinhart sowohl der Bundes- als auch der Wiener Kammer vor. Dazu kommt, dass Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) bereits Anfang des Jahres der Ärztekammer attestiert hatte, über zu viel Macht zu verfügen. Rauch ließ schon damals durchblicken, diese beschneiden zu wollen.

Konkret soll nach den Plänen des grünen Ministeriums die Ärztekammer künftig weniger Mitsprache bei den Gesamtverträgen und bei der Gründung von Ambulatorien haben. Befürchtet wird auch der Verlust der Stellenplankompetenz. Sorge bereitet auch eine Codierungspflicht von Krankheitsbildern in der Patientenkartei für niedergelassene Ärzte.

Noch wird um diese Punkte innerhalb der türkis-grünen Bundesregierung aber gerungen. Die Zeit drängt: Ende November soll eine entsprechende Regierungsvorlage eingebracht werden. Während der grüne Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner die "Ärztekammer-Drohszenarien" zurückweist und auf "längst überfällige Reformen" pocht, hält sich die ÖVP im Bund auf Nachfrage auffallend bedeckt. "Die Gespräche dazu mit dem Koalitionspartner laufen", sagte der türkise Gesundheitssprecher Josef Smolle dem STANDARD. Nähere Kommentare möchte man dazu nicht abgeben. Anfang kommender Woche sollen auch Gespräche zwischen Rauch und Ärztekammer-Präsident Steinhart stattfinden.

Fokus auf Patientinnen und Patienten

Insgesamt gehe es bei einer effektiven Versorgung darum, den Patientinnen und Patienten sowie den Krankenversicherungsträgern etwas mehr Stärke im System zu geben als den Leistungserbringern, also den Ärztinnen und Ärzten, sagt Ökonomin Maria M. Hofmarcher-Holzhacker dem STANDARD. "Es muss das getan werden, was für die Versicherten das Beste ist", sagte sie. Die Expertise von Ärztinnen und Ärzten beizuziehen, hält sie für unverzichtbar.

Die geplanten Änderungen, die der Ärztekammer Mitentscheidungsbefugnisse entziehen würden, könnten dabei helfen, eine "zukunftsorientierte ambulante Versorgung" auf den Weg zu bringen. Auch deshalb, weil darin vorgesehen sei, die ambulante Versorgung mit dem Gesamtsystem gemeinsam zu planen. Während die Sozialversicherungsträger zusammengelegt wurden, sei die Ärztekammer beim "Klein-Klein" ihrer Struktur geblieben. Das wolle diese nun schützen, sei aber nicht zeitgemäß, befindet Hofmarcher-Holzhacker.

Der von der Ärztekammer formulierten Sorge, es könnten Konzerne künftig leichter Ambulatorien gründen, entgegnet Hofmarcher-Holzhacker, dass diese Angst unberechtigt sei: Es könne ja gesetzlich verankert werden, dass Sozialversicherungsträger, gemeinnützige Träger und Pflegepersonal neben Ärztinnen und Ärzten solche Ambulatorien betreiben dürfen.

"Maximaler Systemwechsel" befürchtet

Harald Schlögel, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Präsident der Landesärztekammer Niederösterreich, sieht "eine schwere diplomatische Verstimmung" zwischen Gesundheitsminister Rauch und der Ärztekammer. Hier werde ein "maximaler Systemwechsel" geplant. Er kann die Blockierervorwürfe gegen die Kammer nicht nachvollziehen, zum Beispiel habe es in Niederösterreich nie einen Streit mit der Kasse über Stellenpläne im niedergelassenen Bereich gegeben.

"Es werden hier Pflöcke eingeschlagen, bei denen wir erst in vier bis sechs Jahren sehen werden, was für Folgen sie haben", warnt Schlögel. Er fürchtet eine Entsolidarisierung der Gesellschaft. Er wolle niemandem etwas unterstellen, aber es könne dann theoretisch passieren, dass einer Gruppenpraxis, welche die Kasse viel Geld kostet, über der Straße mit einem Ambulatorium Konkurrenz gemacht werde, das anbietet, billiger zu arbeiten, dafür aber Bereiche aussparen könnte, die in der Versorgung aufwendig und schlecht dotiert sind, was zum Beispiel bei älteren chronisch kranken Menschen der Fall sein kann.

Den Leistungskatalog für einen Gesamtvertrag habe die Kammer vor über zwei Jahren vorgelegt, nun werde ihr gedroht, diesen bis Ende 2025 inklusive Honorarlisten fertigzustellen. Das sei "ein Affront", ergänzt Schlögel. (David Krutzler, Gudrun Springer, 9.11.2023)