Der Steirer August Smisl stand 1996 als Wrestler im Zenit.
Wolfgang Pablik

Sitzt August Smisl im großzügigen Büro, untergebracht in einem Penthouse über seinem Bremer Fitnesstempel Top Gym, zündet er sich ganz gerne eine Zigarre an. Derart entspannt lässt sich leicht über das Leben sinnieren. "Wenn du davorstehst und diesen Berg hinaufschaust, weißt du nicht, wie du das schaffen sollst. Wenn du dann aber den Weg kennst, den du gegangen bist, mit all seinen Abzweigungen, dann ist die Reise nachvollziehbar, leicht zu lesen." Nun ist es nicht so, dass der fitte, geschäftlich wie privat erfolgreiche 55-Jährige schon endgültig Bilanz ziehen muss. Aber August Smisl schaut gerne zurück und freut sich über das Erreichte, schätzt sich voll Demut glücklich über die vielen günstigen Wendungen seit dem Beginn seiner Kletterpartie.

Sie begann in den frühen 1980er-Jahren in Kapfenberg, wo der gleichnamige Sohn des Fleischhauers August Smisl bei der VEW, heute Böhler, Betriebselektriker lernte. Auslasten konnte das den ungewöhnlich gut gebauten Burschen nicht, der in dieser Hinsicht seinem Großvater Karl glich, einem in Marburg geborenen Berg von einem Mann. "Den Opa haben sie immer geholt, wenn in Leoben der Zirkus war. Dann hat er mit dem Tanzbären ringen müssen", sagt Smisl, der selbst mit 15 Jahren schon fast 90 Kilo wog. Der Enkel, der Karl nie kennenlernen durfte, suchte nach Anerkennung. "Der Schönste wäre ich nicht geworden, aber der Stärkste war machbar."

Sportlich genützt hat Smisl seine gottgegebenen Anlagen im Judo, kommerziell auch schon in diesen frühen Jahren als Türsteher einer Disco namens Jack Daniels. Fortschritte in beiden Metiers machte er in Wien, wohin ihn das Bundesheer rief, genauer gesagt in die Heeressport- und Nahkampfschule (heute Heeressportzentrum). "Dabei war ich kein guter Judoka", sagt Smisl. Die technische Schulung in Kapfenberg sei überschaubar gewesen. "Drei Griffe, und das war’s. Aber ich habe das physisch gelöst, ich war eher grob." So stieß er das Tor zur Welt auf.

Auch die Einstellung machte ihn reif für die Nationalmannschaft. Die Olympischen Spielen 1992 waren Smisls großes Ziel, die Wiederherstellung der im Training zerstörten und daher nicht voll funktionsfähigen Nase sollte ihn einem Einsatz in Barcelona näher bringen. Die Rekonstruktion durch ein Knochenstück aus der Hüfte hätte Routine sein können, hätte sich Smisl keinen Krankenhauskeim eingefangen. Dessen Multiresistenz beendet den olympischen Traum, die Wunde an der Hüfte ist ein Jahr offen, die seelische Wunde braucht noch länger.

Gut im Geschäft

Finanziell wenigstens ist Smisl vom Sport nicht mehr abhängig. Die ihm innewohnenden, seiner Statur geschuldeten Sorgen ("ich fresse mehr als andere, brauche größere Schuhe, Kleidung, Bettwäsche usw.") dämpfte er schon als Sportsoldat durch Geschäftstüchtigkeit. Smisl hängt etwa als Nebenjob auf selbst zusammengestellten Touren zweimal pro Woche Kondomautomaten auf ("500 Schilling habe ich pro Automat bekommen"), gibt vor allem aber auch in Wien einen imposanten Türsteher. Bald wirkt er hinter den Kulissen als Organisator in diesem speziellen Zweig der Sicherheitsbranche.

Mit der Eröffnung des Nachtwerks ist im August 1991 eine neue Ära in der Wiener Diskothekenszene eingeläutet worden. Smisl erstellt für den Tanztempel in Wien-Liesing als "Abteilungsleiter" die Dienstpläne, übernimmt das Scouting, ist aber wegen seines Auftretens auch an der Tür unabkömmlich. Mit "Wehret den Anfängen" umschreibt er sein Einlasskonzept. Er habe etwa an allen seinen Wirkungsstätten einen wahren Kreuzzug gegen Drogen geführt. "Da gab es kein Lokalverbot, da gab es Straßenverbot. Das habe ich sehr persönlich genommen."

Zu einer Art rechten Hand wird ein Literat. "Er wollte immer Türsteher sein, hatte aber nicht die Statur. Dafür war er vielsprachig und ein Deeskalationskünstler mit Gefühl für die Situation. Er hat viel Stress von vornherein abgebogen." Das auch vor Gericht, denn Smisls strenge Hand rief nicht selten den Arm des Gesetzes auf den Plan. "Wer in der ersten Reihe steht, steht auch schnell vor Gericht", sagt Smisl, "fast wegen jedem Schas" wie etwa der gekränkten Ehre eines handfester Abgewiesenen.

Als "Big Otto" rief

Für auch finanziell willkommene Abwechslung sorgte Otto Wanz. In den Wanderzirkus von "Big Otto", dem einstigen Weltmeister im Catchen und Weltrekordler im Telefonbuchzerreißen, passt eine Erscheinung wie August Smisl, 1,93 Meter hoch und mehr als 130 Kilogramm schwer, perfekt. Der ist zunächst eher skeptisch, bald aber ein Liebling der Szene. Smisl zählt zu den Austrian Giants, dem Wanz'schen Ableger der damals beliebten Strongman-Bewerbe. "Steirerman Gustl" zieht Loks, hebt Autos aus dem Kreuz, trägt mächtige Kugeln aus Stein und rollt Lastwagenreifen um die Wette. Als Catcher kommt er fast so viel herum wie seinerzeit als Judoka. 1996, auf dem Höhepunkt seiner einschlägigen Karriere und bei einem Triumph bei den Austrian Giants, bestreitet er in Tokio einen Mixed-Martial-Arts-Kampf gegen die japanische Catcherlegende Masakatsu Funaki. Kein Wunder, dass die World Wrestling Federation in New York ruft. Smisl stellt hohe Forderungen, und dass es nicht zum US-Engagement kommt, stört ihn letztlich nicht. Der starke Mann ist kein Suchender mehr.

Bremen und Bizeps

Dem Finden steht aber nichts im Weg. Kurz vor der Jahrtausendwende bewegen ihn zwei Freunde dazu, in Bremen-Überseestadt unweit des Hafens ein leerstehendes Industriegebäude zu kaufen, ein ehemaliges Asylwerberheim. Er investiert im Glauben an die Zukunft der heruntergewirtschafteten Gegend, eröffnet das Top Gym und verspricht der Kundschaft Finest Fitness. Er schätzt sich glücklich, davon leben zu können, "dass andere Sport treiben". Mehr als nur Werbung ist seine Karriere im Arm-Wrestling. Titel holt Smisl auch ohne Annahme der Staatsbürgerschaft als "The German Giant". 2005 gelingt ihm in Tokio das Weltmeisterschaftsdouble mit dem linken und dem rechten Arm, dessen Bizeps mehr als 50 Zentimeter misst.

Heute ist Smisl mit Tochter Lina, seiner Lebensgefährtin Katarina und dem gemeinsamen Sohn Bennet glücklich.
August Smisl

Heute gibt er nur noch den Trainingspartner, das Studio ist seit Jänner verpachtet, Smisl investiert in Wohnungen, ist für Projekte offen. Für Katarina, eine Personaltrainerin, die er ihn Wien kennenlernte, und die Kinder Lina (14) und Bennet (6) plant er ein Haus am Grollander See im Park Links der Weser – Traumlage in Bremer Zentrumsnähe. Zum Top Gym ist es nicht weit. Wenn August Smisl nach Gesellschaft über die Familie hinaus zumute ist, geht er ins hauseigene Café: "Das Studio hat eine soziale Komponente, die durch nichts zu ersetzen ist."

Mit etwas Glück trifft man dort auf August den Dankbaren, der zur Weisheit fand. (Sigi Lützow, 13.11.2023)