Wenn Licht (Photonen) auf Materie (Atome) trifft, kann es reflektiert, absorbiert oder transmittiert werden. Wahrnehmbar wird dies zum Beispiel als die Farbe von Gold oder buntem Glas. Speziell die scheinbar einfache Absorption von Licht in Festkörpern steht am Anfang einer komplizierten Kaskade von Prozessen, die auf der Attosekunden- und Femtosekunden-Skala ablaufen.
Aber was ist eigentlich eine Attosekunde? Eine Attosekunde ist der trillionste Teil einer Sekunde, eine Sekunde enthält also 1.000.000.000.000.000.000 Attosekunden. Zum Vergleich: Das Universum ist etwa 14 Milliarden Jahre alt, besteht also seit ungefähr 440.000.000.000.000.000 Sekunden. Das Verhältnis von einer Attosekunde zu einer Sekunde entspricht also grob dem Verhältnis von einer Sekunde zum Alter des Universums. Aber wieso interessieren wir uns für Vorgänge, die in so unvorstellbar kurzer Zeit ablaufen?
In solch kurzer Zeit kann sich zum Beispiel entscheiden, ob eine Solarzelle Licht in brauchbare Elektrizität oder Wärme umwandelt oder ob ein Transistor im Stromkreis schaltet. In Zukunft können wir solch kurze Prozesse hoffentlich ausnutzen, um Quantenzustände zu verarbeiten, bevor sie eine Chance haben, Information an ihre Umgebung zu verlieren, oder um ultraschnelle Schalter zu bauen, die sich mit Licht an- und wieder ausschalten lassen.
Bevor wir diese Prozesse allerdings in der Technologie der Zukunft ausnutzen können, müssen wir sie verstehen. Deshalb forschen wir an der Konstruktion eines Mikroskops, welches Beobachtungen mit der bestmöglichen Zeit- und Ortsauflösung erlaubt.
Stroboskopische Beleuchtung
Normale Kameras sind leider viel zu langsam, um Videos von solchen Vorgängen aufzuzeichnen. Deshalb verwenden wir ausschließlich Licht, um solche Prozesse zu starten, zu kontrollieren und auch zu beobachten: Dazu starten wir einen Prozess in einer Probe mit einem ersten Lichtblitz. Der Prozess beginnt abzulaufen, und nach einer winzigen Zeitspanne beobachten wir den so erzeugten Zustand mit einem zweiten Lichtblitz. Nach dieser Messung warten wir, bis die Probe von selbst in den Ausgangszustand zurückkehrt. Dann starten wir den exakt gleichen Prozess ein zweites Mal, aber beobachten den Zustand nach einer anderen Zeitspanne. Wenn wir diesen Ablauf viele Male wiederholen, können wir mithilfe dieser stroboskopischen Beleuchtung Stück für Stück ein Video der zeitlichen Entwicklung solcher Prozesse aufnehmen.
Die erreichbare Zeitauflösung ergibt sich aus der Dauer der Lichtblitze, deshalb müssen wir solche mit extrem kurzer Dauer verwenden. Deren Erzeugung haben weltweit im letzten Jahrzehnt einige Labore gemeistert. Für die Methoden, mit welchen Lichtblitze, die nur Attosekunden dauern, erzeugt werden können, wurden Anne L’Huillier, Pierre Agostini und Ferenc Krausz dieses Jahr mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Wir konnten durch die Anwendung dieser Techniken zum Beispiel zeigen, dass lichtgeschaltete Elektronik bis zu 10.000-mal schneller als konventionelle Elektronik operieren kann.
Schneller als das (sichtbare) Licht
Die interessantesten Proben sind aber nicht homogene Materialien, sondern winzige elektronische Transistoren, metallische Nanopartikel oder Schichtstrukturen, oft nur einige Nanometer groß. Solche Strukturen mit Licht zu beobachten ist an sich selbst schon eine Herausforderung, mit einer Zeitauflösung im Attosekundenbereich ist dies bisher noch nicht gelungen.
Grund dafür sind fundamentale physikalische Limits, die sich aus der Wellennatur des Lichts ergeben. Interessierte können hierzu über das Abbe-Limit für die Ortsauflösung und das Fourier-Limit für die Zeitauflösung nachlesen. Für das Verständnis reicht allerdings folgende Faustregel: Ohne Tricks kann man mit Licht, das man sich als eine Schwingung ähnlich einer Wasserwelle vorstellen kann, nur Gegenstände wahrnehmen, die größer als die Wellenlänge der Schwingung sind. Zeitliche Abläufe kann man nur auflösen, wenn sie sich langsamer als eine Schwingungsperiode der Welle abspielen.
Unser Zugang, gleichzeitig eine Zeitauflösung im Attosekundenbereich und eine Ortsauflösung im Nanometerbereich zu erreichen, basiert darauf, statt sichtbaren Lichts Röntgenstrahlung zu verwenden. Genauer gesagt verwenden wir extrem-ultraviolette Strahlung, die etwa zehnmal schneller als sichtbares Licht in Raum und Zeit schwingt und deshalb eine höhere Auflösung ermöglicht. Da diese Strahlung sehr viel Energie besitzt, wird sie leider von fast allen Materialien absorbiert, deshalb existierten bisher keine Linsen für extrem-ultraviolette Strahlung. Damit fehlt die Grundlage für ein derartiges Mikroskop.
Wir verwenden eine neue Linsen-Technologie, sogenannte Metalinsen, um dies zu ändern: Metalinsen bestehen aus winzigen Nanostrukturen, zum Beispiel Türmchen aus Titandioxid auf einem Glasfenster. Diese Türmchen sind in der Regel kleiner als die Wellenlänge des Lichts, mit zwei Konsequenzen: Erstens wird durch ihre extreme Dünne viel weniger Licht absorbiert als in einer normalen Linse. Zweitens interagieren die Nanostrukturen durch ihren kleinen Durchmesser mit dem Licht auf eine Weise, die es erlaubt, durch ein zweidimensionales Design, ähnlich einer Luftaufnahme einer Stadt, beliebige Linsen nachzubauen. Die so nachgeahmte Linse nennt man Metalinse, da sie keine Ähnlichkeit mit einer "klassischen" Linse hat, aber dieselbe Funktion erfüllt. Wie das genau funktioniert, erkläre ich in diesem Video:
Mit einem speziellen Design, welches die Nanotürmchen aus Titandioxid durch Nanolöcher in einer dünnen Siliziumfolie ersetzt, konnten wir dieses Jahr die ersten derartigen Linsen für extrem-ultraviolettes Licht herstellen und vermessen. Diese werden das Herz unseres neuen Attosekunden-Mikroskops sein. Im Moment implementieren wir die Erzeugung von extrem-ultravioletten Lichtblitzen mit Attosekunden-Dauer. Hoffentlich schon nächstes Jahr werden wir beides kombinieren und das Attosekunden-Mikroskop in Betrieb nehmen. (Marcus Ossiander, 22.11.2023)