Nach Jahrzehnten der wirtschaftlichen Krise und des Abstiegs hat sich Argentinien für einen radikalen Kurswechsel entschieden. Bei der Stichwahl am Sonntag gewann der Anarchokapitalist und Donald-Trump-Bewunderer Javier Milei. Der 53-jährige Ökonom, der den Klimawandel leugnet und den Sozialstaat auf ein Minimum zusammenstreichen will, kam auf knapp 56 Prozent der Stimmen. Der peronistische Mitte-links-Kandidat Sergio Massa räumte am Wahlabend seine Niederlage ein.

Javier Milei bei einer Rede nach seinem Wahlsieg.
Javier Milei: "Heute ist der Anfang vom Ende der Dekadenz."
AFP/EMILIANO LASALVIA

Die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas rückt damit nach rechts außen. Mileis Vizepräsidentin ist eine Sympathisantin der Militärdiktatur. Zu den ersten Gratulanten gehörte Brasiliens rechtsextremer Ex-Präsident Jair Bolsonaro. Auch der libertäre US-Tycoon Elon Musk feierte den Triumph: "Argentinien steht Wohlstand bevor", twitterte er.

"Heute ist der Anfang vom Ende der Dekadenz", versprach Milei bei seiner Siegesrede in Buenos Aires. "Die Privilegien und der Beutestaat, an dem sich nur wenige bereichern, hat ein Ende." Es stehe ein drastischer Kurswechsel mit raschen Umstrukturierungen bevor.

"Die Wut besiegte die Angst"

Die Stimmung auf den Straßen war am Kochen. "Alle müssen weg, die Kaste hat Angst!", riefen die Anhänger des libertären Kandidaten. Die politische Elite war in den vergangenen 25 Jahren nicht in der Lage, den wirtschaftlichen Abstieg zu bremsen. Mittlerweile gelten 40 Prozent der Argentinier und Argentinierinnen als arm.

"Die Wut besiegte die Angst", resümierte eine Anhängerin von Milei die Protestwahl. Vor allem die Jugend setzte auf einen Bruch. "Die Wähler waren offenbar der Auffassung, dass Milei verrückt genug ist, um wie ein Kamikaze die Reformen durchzuboxen, zu denen rationalere Vorgänger nicht in der Lage waren", kommentierte der Politologe Pablo Touzón den Wahlausgang.

Geopolitisch ist Milei ein scharfer Kritiker Chinas, das in den vergangenen Jahren zum zweitgrößten Wirtschaftspartner und Investor Argentiniens aufgestiegen ist. Sollte kommendes Jahr in den USA Donald Trump wiedergewählt werden, könnte Argentinien wieder zu einem strategischen Partner der USA in Südamerika werden wie in den 1990er-Jahren.

Den Menschen hat Milei versprochen, die Zentralbank zu schließen, die Wirtschaft zu dollarisieren, Abtreibung zu verbieten, Sozialausgaben zu kappen und Bildung und Gesundheit zu privatisieren. Es wäre ein drastischer Bruch mit dem bisherigen Sozialstaat.

Keinen Ausweg gefunden

Massa, der zuletzt Wirtschaftsminister war, hatte keinen Ausweg aus Inflation, Devisenflucht und Abwertung gefunden. Ausufernde Korruption in den Reihen der über viele Jahrzehnte regierenden peronistischen Partei hatten zudem zu deren Diskreditierung beigetragen. Allerdings stellt Massas peronistische Koalition, Unión por la Patria, die Mehrheit im Kongress. Die Peronisten verfügen über 34 von 72 Sitzen im Senat und 108 von 257 Sitzen im Abgeordnetenhaus.

Daher ist es fraglich, ob mit der Wahl von Milei die politische Elite aufs Abstellgleis verfrachtet wird. Er selbst ist politisch unerfahren und gilt als mental instabil. Zu Berühmtheit kam er durch schrille Auftritte in Talkshows, nicht als Manager. Seine Partei "Die Freiheit geht voran" stellt nur acht Senatoren und 38 bunt zusammengewürfelte Abgeordnete.

Die Fraktion dürfte von den traditionellen Konservativen eingehegt werden, die sich in der Stichwahl hinter Milei als vermeintlich kleineres Übel gestellt hatten. Besonders Ex-Präsident und Fußballmanager Mauricio Macri, Chef der konservativen PRO, könnte mit seinen 94 Abgeordneten zu einer Schlüsselfigur werden.

Sollte Milei sein radikales Programm umsetzen, drohen soziale Tumulte. Diese sind eine Spezialität der Peronisten, die über eine solide politische Unterstützung in den Armenvierteln von Buenos Aires verfügen. In der Provinz Buenos Aires wurde zudem der Peronist Axel Kiciloff als Gouverneur wiedergewählt. Milei wird gegen die Politprofis kein leichtes Spiel haben. (Sandra Weiss, 20.11.2023)