Die Wahl Andreas Bablers zum SPÖ-Vorsitzenden schließt ein turbulentes Kapitel in der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie ab. Dass von den drei amtierenden SPÖ-Landeshauptleuten Hans Peter Doskozil, Peter Kaiser und Michael Ludwig nur Kaiser sich der Wiederwahl in das Führungsgremium stellte und Doskozil mit einer Ausrede vom Parteitag überhaupt fernblieb, zeigt die tiefen Wunden, die der von ihm seit fünf Jahren entfesselte Machtkampf gegen Pamela Rendi-Wagner um die Parteispitze hinterlassen hat.

Will die SPÖ wieder einen: Parteichef Andreas Babler.
APA/ERWIN SCHERIAU

Mit Babler kommt ein großartiger Redner mit sozialistischem Stallgeruch zum Zug, dem man das Engagement für die Gerechtigkeit und für ein Programm "in Richtung Bruno Kreiskys" (STANDARD-Interview, 19.11.) abnimmt.

Realpolitische Kompromissbereitschaft

Der erfolgreiche Bürgermeister von Traiskirchen ist seit seinem 16. Lebensjahr ein in der Wolle gefärbte Linker, der mit einer fulminanten Kampagne von unten nach einer Mitgliederbefragung und einem durch Zählungsfehler dramatisierten Parteitag den Zweikampf zwischen der Vorsitzenden Rendi-Wagner und dem Herausforderer Doskozil völlig überraschend für sich entscheiden konnte.

In den fünf Monaten zwischen den zwei SPÖ-Parteitagen war allerdings der neue Parteichef wegen nicht finanzierbarer "voreiliger Luftballons" (Hannes Androsch) zu Recht kritisiert worden.

Aber Armin Thurnher hat auch recht: "Nie wurde ein Parteichef prophylaktisch mit derartiger Häme und bösem Willen zugerichtet wie Andreas Babler" (Falter 46/23). Dass seine rhetorische Leidenschaft realpolitische Kompromissbereitschaft nicht ausschließt, zeigen seine Differenzierungen früherer Pauschalforderungen in zahlreichen Interviews. Er hat aber noch viel zu tun, um das Misstrauen gegen ihn und seiner Entourage zu zerstreuen. Er findet die führende Rolle des früheren Bundeskanzlers und SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer im Benko-Konzern "moralisch nicht in Ordnung" und kritisiert auch die korruptionsverdächtigen Umtriebe mancher Wiener SPÖ-Funktionäre.

Willkommener Bruch

Diese klare Haltung ist ein willkommener Bruch mit dem bisherigen Schweigen der Spitzengenossen. Nur so kann man aus dem Vollen schöpfen bei den Angriffen gegen die Freunderlwirtschaft in der ÖVP und in der FPÖ.

Die jüngsten Aktionen beziehungsweise Drohungen der FPÖ-Landesvorsitzenden in Burgenland und Oberösterreich erinnern an die Warnung des Schriftstellers Michael Köhlmeier: "Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan" (Rede im Parlament, 4.5.2018).

Viel hängt von einer glaubwürdigen Wandlung des Parteivorsitzenden vom linken Rebellen zum pragmatischen Sozialdemokraten ab. Andreas Babler ist die letzte Chance, um die SPÖ als prägende Kraft bei der für die Zukunft der Zweiten Republik lebenswichtigen Abwehr der rechtsextremen Gefahr zu retten.

Auch seine Rivalen und Neider von Eisenstadt und Wien bis Linz und Innsbruck müssen verstehen, dass nur mit Geschlossenheit im Wahljahr ihre Partei an der Spitze einer breiten Koalition den selbsternannten "Volkskanzler" von der Macht fernhalten kann. (Paul Lendvai, 21.11.2023)