Die Wiener SPÖ hat bei ihrem "kleinen Parteitag" am Wochenende gleich zwei politische Volltreffer gelandet. Die Roten in der Hauptstadt wollen Matura und Noten abschaffen – zumindest in Volksschule und Unterstufe. Das versetzte zuallererst den Bildungsminister (ÖVP) in maximale Aufregung: "Hirngespinste linker SPÖ-Träumer!", schimpfte Martin Polaschek. Die FPÖ erregte sich über den "Unfug aus dem linken Antileistungsfundus der SPÖ".

Braucht es in der Volksschule Noten? Nein, sagt die Wiener SPÖ.
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Volltreffer Nummer zwei landete in der Bundes-SPÖ. Dort hieß es schmallippig, man habe derzeit andere Prioritäten. Kurz nach dem Parteitag in Graz, auf dem sich der neue SPÖ-Chef Andreas Babler alle Mühe gab, sich für die kommenden Nationalratswahlen zu positionieren, setzen "die Wiener" eine eigene politische Duftmarke. Deutlicher hätte man die Entfremdung zwischen Bundes-SPÖ und der einflussreichen Wiener Landesgruppe wohl nicht zum Ausdruck bringen können. Nebenbei fragt man sich auch, wie das der Koalitionspartner Neos findet, dass sich die Bürgermeisterpartei mit Macht beim Thema von Stadtrat Christoph Wiederkehr einbringt.

Allerdings lohnt es sich, näher hinzusehen. Es ist hoch an der Zeit, dass Bildungspolitik wieder in den Fokus rückt. Das ist – und da mag Minister Polaschek Absagen erteilen, so viel er will – zunächst einmal gelungen. In der Öffentlichkeit wird wieder über Schule und Bildung gesprochen. Lange war das nicht der Fall. In der Corona-Pandemie hat sich Polascheks Vorgänger Heinz Faßmann bemüht, die Schulen offen zu halten. Dennoch sind die Folgen der Lockdowns für Kinder und Jugendliche bis heute zu spüren – das zeigt sich auch im Schul- und Bildungssystem.

Verabsäumte Reformen

Faßmanns Nachfolger Polaschek hat es verabsäumt, gleich nach der Pandemie ein paar grundsätzliche Reformen anzugehen, er verwaltet vielmehr den Mangel an Ressourcen und Personal. Dabei steckt Österreich mehr Geld ins Bildungssystem als viele andere EU-Staaten – aber die Ergebnisse lassen zu wünschen übrig. Das beginnt bei der digitalen Bildung und hört bei der Ganztagsschule auf. Nichts davon funktioniert, über das Bundesgebiet verallgemeinert, wirklich gut. Noch immer wird vielerorts gelehrt und gelernt wie vor Jahrzehnten. Wo neue Wege gegangen werden – etwa mit Integrationsklassen, Mehrstufenmodellen oder gar Versuchen, ohne Schulnoten auszukommen –, knirscht es spätestens an den Schnittstellen zum "normalen" Schulsystem. Während viele Schülerinnen und Schüler (und auch so manche Lehrperson) ihre Hausübungen bereits KI-gestützt erledigen, fehlt’s andernorts immer noch an den Internet-Basics und erst recht an der Lehrkompetenz, damit die jungen Digital Natives auch lernen, mit Fake News und Verschwörungstheorien auf Social Media umzugehen. Das sind nur ein paar Beispiele, woran es krankt.

Insofern ist der Vorstoß zu begrüßen. Es gibt viel zu verändern rund um Schule und Bildung. Wie genau, diese Antwort bleibt die Wiener SPÖ vorerst schuldig. Bewertungssysteme und Abschlussprüfungen sind schon auch sinnvoll – Kinder und Jugendliche vergleichen sich so oder so mit anderen.

Das alles gibt es zu bedenken. Es sollte aber ein Anstoß für alle politischen Kräfte, inklusive der Bundes-SPÖ, sein, in eine längst fällige Debatte einzusteigen. (Petra Stuiber, 20.11.2023)