Ein besseres Zugriff aufs Bildungssystem: Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig möchte der
Ein besserer Zugriff aufs Bildungssystem: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig möchte der "punktuellen Wissensabfragung" den Kampf ansagen.
APA/ROLAND SCHLAGER

Ein Hauch von guter, alter Sozialdemokratie weht über den heimischen Bildungseinrichtungen. Die Wiener SPÖ, um programmatische Alleingänge niemals verlegen, hat ungesunden Heißhungerattacken beim Wissenserwerb in den pädagogischen Anstalten den Kampf angesagt. Wer seinen Bildungshunger stillt, sollte dies nachhaltig tun, ohne Rücksicht auf "punktuelle Wissensabfragungen". Prompt stellt Wiens Bürgermeister Michael Ludwig wieder einmal die Noten zur Diskussion. Kein vorgekautes Wissen runterschlingen, um es einfach wieder auszuspucken!

Tatsächlich glich der Schulunterricht noch in den Ausläufern der Ära Kreisky einer Folge von Stoffwechselprozessen. Kaum einer hinterließ Eindruck. Ich, als dicker Babyboomer ein ansonsten geübter Esser, stopfte die Lerninhalte möglichst unzerkaut in mich hinein. Anderntags spie ich die Bildungsbrocken wieder aus: bei der "Stundenwiederholung", bei der "Semesterprüfung". Acht Jahre Gymnasium waren ein einziger, hastiger Ernährungszyklus.

Elterliche Langmut

Unvergesslich bleibt eine sonst nicht weiter erwähnenswerte Wiederholung. Das Lehrorgan befragte mich nach dem Prinzip der Photosynthese. Ich, ein Pubertierender, antwortete verstockt, dass ich Besseres zu tun hätte, als den Vorgang zu Hause zu rekapitulieren. So wollte mich mein Professor nicht ziehen lassen: "Versuche es wenigstens!" Meine Erwiderung, dass, wer nichts weiß, auch nichts zu äußern habe, ließ er zu meinem Erstaunen nicht gelten.

Es ist der Langmut meiner armen Eltern zu verdanken, dass ich die Matura dennoch abgelegt habe, mit mediokrem Erfolg. Die wichtigste Lektion hatte ich schon vorher, im katholischen Beichtstuhl, erhalten. Wer gerade keine Sünde bei der Hand hat, die er beichten könnte, der muss sich eine erfinden. In der Schule widerfuhr mir niemals die Ehre, nachsitzen zu dürfen. Nach Ablegen der Beichte hingegen verbrachte ich eine kleine Ewigkeit vor dem Altar: Die Zahl der zu verrichtenden Bußgebete überstieg die der Schuljahre fast um das Doppelte. (Ronald Pohl, 22.11.2023)