Ein ausgeprägter Machtmensch: Wolfgang Sobotka, derzeit Nationalratspräsident. Die ÖVP versammelt sich hinter ihm. Trotz der Vorwürfe und wegen der Vorwürfe.
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Nichts davon kann einen überraschen. Die ÖVP versucht ihren machtpolitischen Einfluss auszuspielen und auf die Justiz Einfluss zu nehmen. Es geht darum, Verfahren einzustellen oder zu manipulieren, Hausdurchsuchungen zu verhindern, Ermittlungen zu unterbinden. Wozu hat man denn seine Leute in der Regierung und im Ministerium sitzen? Wie plump und ungeniert das laufen kann, hat Christian Pilnacek, einst mächtiger und einflussreicher Sektionschef im Justizministerium, in einem privaten Gespräch ganz offen dargestellt. Pilnacek schied im Oktober unter noch nicht geklärten Umständen aus dem Leben. Das Gespräch wurde im Juli heimlich aufgezeichnet, wohl auch weil den Gesprächspartnern die Brisanz des Gesagten bewusst wurde.

Pilnacek hat sich auch darüber beschwert, wie unrecht ihm getan wurde. Von den eigenen Leuten. Weil er nicht immer so tat, wie sie wollten. Weil er nicht konnte, wie er sagte. Weil er nicht wollte, wie er behauptete. Weil wir in einem Rechtsstaat leben, stellte er in den Raum.

Pilnacek erzählte authentisch, wie die ÖVP und insbesondere Wolfgang Sobotka, derzeit Nationalratspräsident, bei ihm intervenierten. Das kann man sich gut vorstellen – und mag es sofort glauben. Hinterfragenswert ist die Selbstdarstellung von Christian Pilnacek. Dass tatsächlich alle Anliegen der Partei an ihm abgeprallt seien, ist wenig glaubwürdig. Dem gegenüber stehen Aussagen, dass er sich sehr wohl recht hilfsbereit und besorgt zeigte, wenn es um Anliegen der Partei und ihrer Proponenten ging.

Den Vorwurf, die ganze Geschichte sei schäbig und pietätlos, wie der Generalsekretär der ÖVP das nun behauptet, kann man ihm und seiner Partei nur zurückgeben. Es war zuallererst Sebastian Kurz, der nach dem Tod von Pilnacek versucht hatte, dessen Ableben politisch für sich zu vereinahmen.

Die ÖVP reagiert auf das Pilnacek-Gespräch so wie die FPÖ auf das Ibizia-Video, allerdings ohne Rücktritt. Während der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zwar ebenfalls versuchte, die Hinterleute in den Vordergrund zu spielen, und die vermeintlich kriminellen Methoden anprangerte, hielt er aufgrund der bekannt gewordenen inhaltlichen Aussagen seinen Rücktritt selbst für geboten. Die ÖVP beklagt KGB-Methoden, politische Konsequenzen zieht sie keine. Es bleibt an der grünen Justizministerin, eine Untersuchungskommission einzusetzen.

Sobotka war immer ein Machtmensch, egal ob in seiner Zeit in Niederösterreich, als Innenminister in der Regierung oder als Nationalratspräsident, als der er mehrfach bewies, dass es ihm nicht um Aufklärung und Transparenz geht, sondern um seine Anliegen und die der Partei. Wenn sich jetzt die Partei hinter ihm versammelt, muss sie sich überlegen, ob sie sich damit in bester Gesellschaft befindet. Oder ob das nicht jene Gesellschaft ist, aus der man heraussteigen sollte, wenn man den Anstand glaubhaft machen will, den es braucht, um eine ehrliche Politik vertreten zu können.

Karl Nehammer, der Bundeskanzler und aktuelle Parteichef, kommt in all den Geschichten niemals vor. Das kann man ihm zugutehalten. Dass er nichts tut, um seinen persönlichen Anspruch auf Sauberkeit auch in der Volkspartei durchzusetzen, zeigt, dass er offenbar nur ein kleines Rädchen im schwarzen Machtgetriebe ist. Zunehmend gerät Sand in dieses Getriebe. Es wird bald steckenbleiben, wenn niemand die Kraft findet, es zu reinigen. (Michael Völker, 22.11.2023)