Fünf Milliarden Euro sind eine Summe, deren Diebstahl wohl niemanden kalt lässt. Nicht einmal die Europäische Union kann sich hier in Gelassenheit üben, handelt es sich bei dem Betrag doch um den jährlichen Betrug mit EU-Fördergeldern, der in den Mitgliedstaaten begangen wird.

Laura Kövesi, Leiterin der Europäischen Staatsanwaltschaft, hat sich deshalb mit einer vielbeachteten Kritik zu Wort gemeldet, in der sie die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf als "Hund, der weder bellen noch beißen kann" bezeichnet.

Besagter Hund reagierte sogleich mit mitleiderregendem Winseln und dem Hinweis auf die zahlreichen, ihm aufgezwungenen Maulkörbe. So ginge die Unterstützung durch die Justiz in den betroffenen Mitgliedsländern bei von Olaf eingeleiteten Korruptionsermittlungen oftmals mehr in Richtung Sabotage. Häufig würden Täter seitens der Justizbehörden sogar vorgewarnt, was ihnen die Gelegenheit gibt, Beweise und belastendes Material noch vor Beginn der Ermittlungen aus der Welt zu schaffen.

Die vielleicht skurrilste Blüte präventiver Beweismittelvernichtung stammt wenig überraschend aus dem Land, das seit einem halben Jahr auch offiziell jenen Titel trägt, auf den es so lange hingearbeitet hat: das laut Korruptions-Ranking von Transparency International korrupteste Land der EU, Ungarn.

Clan-Kriminalität

Mit der Errichtung einer Kleptokratur und der Etablierung einer Clan-Kriminalität in seinem engsten Umfeld hat Viktor Orbán über viele Jahre gezeigt, dass ihm der Missbrauch von EU-Fördergeldern nicht nur ein persönliches, sondern auch ein gesamteuropäisches Anliegen ist. In seinen steten Bemühungen gelang es ihm unter anderem, EU-Fördermittel für die Errichtung von Baumwipfelpfaden in Ungarn zu generieren.

Diese Förderungen gingen zumeist direkt an Orbáns Parteikollegen. Fidesz-Bürgermeister, deren persönlicher Gewinn unzweifelhafter vorlag, als die Schaffung einer neuen touristischen Attraktion. Doch einer von ihnen hat den Chuzpe-Bogen dabei mehr als nur überspannt. Mihály Filemon, seit 2019 Bürgermeister von Nyírmártonfalva, schaffte das Kunststück, die Förderung bereits vor Fertigstellung des Naturlehrpfads zu verbrauchen. Vor dem Dilemma stehend, einen nicht vorhandenen Baumwipfelpfad präsentieren zu müssen, entschied er sich für den Pfad und gegen die Baumwipfel.

Baumstämme
Ein Baumwipfelpfad ohne Bäume? Ein ungarischer Bürgermeister setzte Prioritäten.
Foto: APA / dpa / Philipp von Ditfurth

Filemon ließ kurzerhand den kompletten Wald abholzen, um mit dem Verkaufserlös des Holzes einen Holzsteg durch einen nun nicht mehr vorhandenen Wald zu errichten. Das ist so, als hätte ein Tiergartenbetreiber zur Finanzierung neuer Gehege die darin auszustellenden Tiere bei einem Fundraising-Dinner verspeisen lassen.

Der nun sinnbefreit in der gerodeten Landschaft stehende Holzsteg weist bereits nach wenigen Monaten massive Risse und Baumängel auf, was ihn aber für eine mögliche Neunutzung empfehlen würde: Sollte die EU Fördermittel für die Errichtung von Korruptionslehrpfaden in Aussicht stellen, würde es nicht überraschen, wenn Familie und Freunde von Viktor Orbán sich mit verstärktem Engagement der Entwicklung neuer touristischer Attraktionen widmen könnten, die völlig zu Recht das Prädikat "autochthon ungarisch" tragen würden. (Florian Scheuba, 23.11.2023)