Der größte Skandal im Fall Sobotka besteht zunächst darin, dass der Betreffende ihm kein rasches Ende zu machen, sondern ihn bis zum Ende der Legislaturperiode, also so lange wie möglich, zu prolongieren entschlossen ist. In einer Erklärung vor dem Nationalrat, dem vorzustehen er schon lange als unwürdig empfunden wird, lehnte er Donnerstag seinen Rückzug aus dem zweithöchsten Amt der Republik ab, nachdem er sich selbst ein reines Gewissen bestätigt hat – eine Erinnerungsleistung, die er nach allem, was ihm allein als Landesrat in Niederösterreich angelastet wurde, inzwischen routiniert erledigt.

FPÖ-Chef Herbert Kickl fordert einen "cordon sanitaire" gegen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.
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Allerdings auch mit zunehmender Geschmacklosigkeit, wovon die demonstrativ vergossenen Krokodilstränen der Pietät im Todesfall Pilnacek und die winkeladvokatorischen Bemühungen, sich von jeder Mitverantwortung daran reinzuwaschen und reinwaschen zu lassen, ein türkises Zeugnis ablegen.

Der Obmann seiner Partei und Bundeskanzler der Republik hat ihm taxfrei, ohne genauere Untersuchungen abzuwarten, sein Vertrauen ausgesprochen, was sich nicht anders als einen Akt der Resignation angesichts des sich abzeichnenden Wählerwillens deuten lässt. Auf ein paar Monate mehr oder weniger Sobotka kommt es nicht mehr an.

Die fällige Unschuldsvermutung im Fall Sobotka in einen Unschuldsbeweis umzumodeln wird sich bis zu den Wahlen kaum ausgehen, da kann man noch so viel über ein angeblich illegales Zustandekommen der ihn belastenden Aufzeichnungen räsonieren. Die Stimme aus dem Jenseits lässt sich nicht mit Zitaten aus Ausschussprotokollen zum Schweigen bringen, auch wenn Nehammer den allzu aktiven Nationalratspräsidenten als das Opfer einer Störung der Totenruhe seines Vertrauens für würdig erklärt. Es wird nichts helfen. Denn es war die Witwe Pilnaceks, die die ÖVP mit der Erklärung, ihr Mann habe sich nicht umgebracht, er wurde es, unwidersprochen gestellt hat.

"Der Fall Sobotka wird zum Fall der Volkspartei."

Wenn der Präsident der gesetzgebenden Körperschaft des Staates im Verdacht des Versuches steht, Beamte zum Abdrehen von Ermittlungen der Justiz beeinflusst zu haben, ist Sand im Getriebe. Wenn er sich weigert, seine politische Untragbarkeit zur Kenntnis zu nehmen, und sich dabei auf eine Partei stützen kann, die sich für staatstragend hält, ist Feuer am Dach.

Der Fall Sobotka wird zum Fall der Volkspartei, und er ist dabei der vorläufig letzte Höhepunkt einer Entwicklung, die an der Bereitschaft der ÖVP, im Interesse der Republik zu handeln, immer wieder Zweifel aufkommen ließ. Die Koalitionen mit den Freiheitlichen und ihre schädlichen Folgen für Österreich, nicht nur was den Ruf im Ausland, sondern auch was die Lebensqualität im Inneren betrifft (z. B. Gesundheitswesen), sind ein Beispiel, die Jahre mit Sebastian Kurz und dessen unrühmliches Ende ein anderes.

Heute ist damit zu rechnen, dass eine rechtsextreme Partei, die in zweimaligen Mitregierungsversuchen nur Schaden gestiftet hat, aus den Wahlen als stärkste hervorgeht. Statt gegen sie einen "cordon sanitaire" zu bilden, ist es Kickl, der einen gegen Sobotka fordert, als gäbe es in seiner Partei nicht genug Korruption, um die er sich kümmern könnte. Aber wozu, wenn die Sobotkas ihm Stimmen zutreiben, ohne dass er dafür mehr tun muss, als Messer schleifen zu lassen für die Zeit nach den Wahlen. (Günter Traxler, 24.11.2023)

Video: Nationalrat: Sobotka weist in Erklärung alle Vorwürfe zurück.
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