Alchemie gilt heute als eine der klassischen Pseudowissenschaften. Dabei machte sie aber eine ähnliche Entwicklung durch wie die Astrologie: Beide waren ursprünglich respektable wissenschaftliche Fachbereiche, auch wenn die Alchemie immer der Nimbus einer Geheimlehre umgab. So hatte auch der große Isaac Newton, der allerdings die Astrologie ablehnte, Ende des 17. Jahrhunderts noch großes Interesse an der Alchemie und der Suche nach dem "Stein des Weisen".

Bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff zum Teil sogar synonym mit Chemie verwendet, wie der Wissenschaftshistoriker Michael Gordin im Gespräch mit dem STANDARD sagt. Erst ab diesem Zeitpunkt wurde die Alchemie nach und nach erfolgreich "verteufelt". Die für den Princeton-Historiker Gordin "große Ironie" an der Geschichte: "Alchemiehistoriker haben in den letzten Jahren zeigen können, dass die meisten der Experimente tatsächlich funktionieren, auch wenn das entscheidende Experiment nicht gelang: nämlich auf künstlichem Wege Gold herzustellen."

Stattdessen waren die Alchemisten recht erfolgreich, aus Gold weniger Gold zu machen, und in einem konkreten Fall sogar auf höchst spektakuläre Weise. Die Rede ist von sogenanntem Knallgold oder "aurum fulminans", einem der ersten bekannten Sprengstoffe.

Explodierendes Knallgold
Explodierendes Knallgold.
Johannes H. Sterba, TU Wien

Beliebter Explosivstoff

Die früheste Anleitung zu seiner Herstellung stammt vom deutschen Alchemisten Sebald Schwertzer aus dem Jahr 1585 ("Philosophiè das Aurum Fulminans zu prepariren / und wie man selbiges zur höchsten Reinigung bringet"). Seither erfreut sich der Explosivstoff, der zwar relativ einfach herzustellen ist, dessen Formel aber immer noch nicht ganz eindeutig festgeschrieben ist, bei "echten" Chemikerinnen und Chemikern sowie populären Youtubern einer gewissen Beliebtheit.

Recreating Old Alchemy Explosives
Hier werden einige explosive Stoffe der Alchemisten nachgebaut. Knallgold ab 3:37.
Explosions&Fire

Bereits 2008 wurde Knallgold von einem auch wissenschaftshistorisch interessierten Team um den österreichischen Chemiker Georg Steinhauser, heute Professor für Radioökologie an der TU Wien, in einer Fachpublikation eingehend untersucht. Der Stoff bildet sich bei verschiedenen Reaktionen von Goldsalzen mit Ammoniak oder Ammoniumchlorid und hat je nach Herstellungsbedingungen sehr unterschiedliche Farben. Der Stoff ist sehr reib-, stoß und hitzeempfindlich und kann unter entsprechenden Umständen sehr leicht explodieren.

Knallgold
Der Rauch, der bei der Explosion von Knallgold entsteht, ist rötlich gefärbt.
Johannes H. Sterba, TU Wien

Das passiert in recht ansehnlicher Form, indem Knallgold eine rötlich-purpurne Rauchwolke hinterlässt, die schon im 17. Jahrhundert zur Färbung von Oberflächen verwendet wurde. Etwas Ähnliches macht man mit Lösungen von Goldnanopartikeln. Der Verdacht liegt also schon seit einigen Jahrhunderten buchstäblich in der Luft, dass die rötliche Färbung des Explosionsrauchs durch feinste Goldpartikel entsteht. Doch so richtig bewiesen wurde diese Vermutung noch nicht – oder besser: bis zu den Experimenten eines Teams der Uni Bristol um den Chemiker Simon Hall.

Analysen im Nanobereich

Der Professor für Chemie, sein Doktorand Jan Maurycy Uszko und zwei weitere Kollegen erzeugten also Knallgold, ehe sie Proben von fünf Milligramm auf Aluminiumfolie durch Erhitzen zur Explosion brachten. Danach fingen die Chemiker den Rauch mit Kupfernetzen ein und analysierten die Probe unter einem Transmissionselektronenmikroskop. Dabei zeigten sich kugelförmige Goldnanopartikel, was die Theorie bestätigte, dass das Gold tatschlich die farbgebende Rolle in dem mysteriösen Rauch spielt, wie das Team erklärt.

Knallgold
Nanogold, das sich nach der Explosion von Knallgold in der Rauchwolke fand.
Jan Maurycy Uszko et al., Arxiv 2023

Ursache ist im Übrigen ein komplexer Quanteneffekt: eine von den elektrischen und magnetischen Feldern des Lichts hervorgerufene gemeinsame Schwingung der Elektronen im Gold. Dieses Phänomen ist als Oberflächenplasmonenresonanz bekannt. Dadurch können die Teilchen abhängig von der Frequenz mit dem Licht wechselwirken, obwohl sie viel kleiner sind als die Wellenlänge des Lichts, wie der studierte Chemiker Lars Fischer auf spektrum.de schreibt.

Knallquecksilber als Kandidat

Die Ergebnisse bestätigen nicht nur, dass Experimente der Alchimisten funktionieren. Das Team um Hall sieht im konkreten Experiment auch eine neue Möglichkeit der schnellen Synthese von Metall-Nanopartikeln, in dem Fall aus Gold. Das begründet auch den alchemistischen Titel ihres Aufsatzes, der "Artificial Chrysopoeia" lautet – also "künstliches Herstellen von Gold".

Andere Metalle werden demnächst drankommen, kündigen die Forscher an, so unter anderem auch Quecksilber beziehungsweise Knallquecksilber. Das wurde ebenfalls von einem Alchemisten entdeckt, der einen besonders schönen Alchemistennamen hatte, nämlich Johann(es) Kun(c)kel von Löwenstein. Die britischen Chemiker werden auch in diesem Fall vorsichtig vorgehen.

Aufmerksamen Seherinnen und Sehern der Kultserie "Breaking Bad" wird der Stoff womöglich bekannt vorkommen: Mit Knallquecksilber (fulminate mercury), das als Crystal Meth getarnt war, pustete Walter "Heisenberg" White einen Teil des Büros von Drogenboss Tuco Salamanca weg, um sich in einer Zwangslage handstreich- oder eher: handgranatenartig etwas Autorität zu verschaffen. (Klaus Taschwer, 26.11.2023)

Is The Fulminated Mercury Scene From Breaking Bad Scientifically Accurate?
Dieser Clip geht der Frage nach, ob die Darstellung der Knallquecksilber-Explosion in "Breaking Bad" wissenschaftlich korrekt ist.
ScienceABC II