Österreich, wir haben ein Problem", befand Christoph Wiederkehr ungefähr in der Mitte seiner Rede. Gute 40 Minuten sprach der Wiener Vizebürgermeister und Stadtrat der Neos Freitagvormittag in der Aula der Wissenschaften in der Wiener Innenstadt: über Werte und Prinzipien, Vielfalt und Intoleranz und darüber, wie das Zusammenleben in Wien und in ganz Österreich funktionieren soll.

Bei seiner Rede mahnte Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr eine "tabulose" Debatte über Grundwerte unserer Gesellschaft ein.
NEOS Wien

Österreich stehe vor einer "historischen Weggabelung". Aus mehreren Richtungen, von linker wie von rechter Seite, erlebe man Diskriminierung, Antisemitismus und Hass. Nicht erst seit dem Massaker der palästinensischen Hamas-Terroristen in Israel, aber vor allem seit dem 7. Oktober und der darauffolgenden Zunahme antisemitischer Vorfälle zeige sich deutlich, dass "kulturelle Konflikte endgültig in Wien und Österreich angekommen" seien. Sie offenbarten "ernste Probleme, die wir nicht hinnehmen können": Angriffe gegen Jüdinnen und Juden, ein "mittelalterliches Frauenbild" oder Hass gegen LGBT-Personen. Es brauche nun "klare Konsequenzen" für jene, die sich nicht an die Prinzipien unserer Gesellschaft halten. Zuletzt hatten ÖVP und FPÖ der Stadtregierung vermehrt Versäumnisse bei der Integration und eine zu lasche Reaktion auf die Schwierigkeiten an Schulen seit der Israel-Gaza-Eskalation vorgeworfen.

Konvent Prinzip Österreich

Der Vizebürgermeister der Hauptstadt, zuständig für Integration, nützt seine Grundsatzrede, um seinerseits einen Appell an die Bundesregierung zu richten. So forderte Wiederkehr die türkis-grüne Koalition zu einem nationalen Schulterschluss auf, zur Einberufung eines Konvents, den er "Prinzip Österreich" titulierte. Für diesen sollen neben der Bundesregierung, der Präsident, Parlamente, Landesregierungen und Gemeinden sowie alle Religionsgemeinschaften und Jugendvertretungen zusammenkommen, um "Prinzipien für unser Zusammenleben" festzulegen, die auf drei Werten basieren, die "für alle gelten und nicht verhandelbar sind": Menschenwürde, Pluralismus, Demokratie.

Österreich sei ein Land der Zuwanderung, ohne "ging es nicht, geht es nicht, und wird es nicht gehen". Menschen müssten deshalb willkommen geheißen werden und hier auch eine Chance geboten bekommen. Aber, und das sei "die zweite Seite der Medaille der Demokratie", es sei auch ein Beitrag zu leisten, und dazu gehöre auch, "unsere Werte zu teilen".

Wiederkehr hielt mehrmals fest, dass er sich gegen eine Pauschalverurteilung aller Migranten stemme: Der "tüchtige syrische Marktstandler am Brunnenmarkt und die Pflegerin aus Afghanistan" hätten es nicht verdient, "mit den Feinden unserer Demokratie in einen Topf geworfen zu werden". Derartige problematische Weltanschauungen müssten deshalb mit der muslimischen Community gemeinsam bekämpft werden. Das von SPÖ und Neos regierte Wien mache Zugewanderten bereits "sehr viele Angebote, um die Integration zu fördern". Es seien auch schon viele Maßnahmen gesetzt worden, um gegen Diskriminierung, Hass, Gewalt und Antisemitismus vorzugehen, sagte Wiederkehr und zählte Beispiele auf: Sommerdeutschkurse und mehr Sozialarbeit an Schulen etwa, oder Aufklärung zum Nahostkonflikt über Unterrichtsmaterialien in den Schulen sowie Fortbildungen für Lehrpersonen.

Strengere Sanktionen

Das sei aber nicht genug, sagte Wiederkehr und mahnte strukturelle Maßnahmen in ganz Österreich ein. Konkret forderte er ein verpflichtendes Unterrichtsfach "Leben in einer Demokratie" sowie Ethik ab der Volksschule ein, außerdem verpflichtende Förderangebote – die, sollten sie ausgeschlagen werden, zu einem schrittweisen Verlust der Sozialleistungen führen sollen. Zudem sollen Vereine strenger beobachtet und Abschiebungen "treffsicherer" entschieden werden. (Anna Giulia Fink, 24.11. 2023)