Geert Wilders
Überraschender Wahlsieger in den Niederlanden: Geert Wilders.
AFP/JOHN THYS

Der Erdrutschsieg der Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden hat quer durch die politische Landschaft Europas Schockwellen ausgelöst. Seine Partei für die Freiheit (PVV) ist durch die Verdoppelung der Sitze auf 37 von 150 zu der mit Abstand stärksten politischen Kraft im Parlament geworden. Niederländische Beobachter sprechen von einem politischen Erdbeben in diesem einst stabilen Gründungsstaat der Europäischen Union. Ein Land, dessen legendärer Diplomat und Staatsmann Joseph Luns fast zwei Jahrzehnte lang Außenminister und der am längsten dienende Generalsekretär der Nato (1971–1984) gewesen war.

Selbst der international angesehene niederländische Politikwissenschafter Cas Mudde ist vom Sieg Wilders’ "schockiert" gewesen. Er habe unterschätzt, wie sehr Wilders und seine radikale Rechte schon zum Mainstream geworden seien (NZZ, 26. 11.). Mudde hob zu Recht hervor, dass die Parteien der rechten Mitte nicht nur in den Niederlanden, sondern in ganz Europa nach rechts gerückt sind und die Wähler bei dem Thema Einwanderung zu der als "kompetentesten und authentischsten" geltenden Partei gehen. Und das sei die radikale Rechte!

Populistische Parteien

Ein internationales Forschungsprojekt an der Universität Amsterdam über europäische Parlamentswahlen der letzten 34 Jahre zeigt, dass der Wähleranteil der Rechts-außen-Parteien von sechs Prozent im Jahr 1993 auf 17 Prozent stieg. Wenn man auch die Linkspopulisten, die als einzige Vertreter des Volks gegen eine korrupte Elite auftreten, in Betracht zieht, dann entfällt jede dritte Stimme auf populistische Parteien.

Laut dieser Untersuchung gilt Ungarn mit einem Anteil von 50 Prozent der Befragten als ein besonders zuwanderungskritisches Land. Nach dreizehn Jahren an der Macht gelang es Viktor Orbáns Fidesz-Partei, durch die beinahe totale Kontrolle der Medien den ausländerfeindlichen Nationalismus zu verstärken.

Der von den europäischen Rechtspopulisten begeistert gefeierte Triumph Wilders’ dürfte übrigens der großangelegten Kampagne Orbáns gegen die EU einen zusätzlichen Auftrieb verleihen. Wladimir Putins bester europäischer Freund hat vor einigen Tagen mit einem Drohbrief an den EU-Ratspräsidenten Charles Michel nicht nur in der Migrationspolitik, sondern auch hinsichtlich der Ukraine-Hilfe eine neue Front eröffnet.

Vielsagendes Schwächezeichen

Dass seine Vetodrohung vor dem bevorstehenden EU-Gipfel am 14. und 15. Dezember wirkt, zeigt der überstürzte Besuch Michels in Budapest. Dass er trotz einer persönlich gegen die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, gerichteten landesweiten Plakatkampagne den von übersteigertem Selbstbewusstsein getriebenen ungarischen Regierungschef trifft, ist bereits ein vielsagendes Schwächezeichen. Selbst die schrittweise Freigabe der eingefrorenen EU-Fördergelder für Ungarn wegen der Aushöhlung des Rechtsstaates und der Korruption dürfte kaum ausreichen, Orbán zu substanziellen Konzessionen zu bewegen.

Angesichts einer harmlosen Opposition in Ungarn und einer gespaltenen Europäischen Union kann der ungarische Autokrat und Sprengmeister des demokratischen Europa anscheinend mit großem Einsatz weiterspielen. (Paul Lendvai, 28.11.2023)