Ahmad Massoud
Ahmad Massoud will die Oppositionskräfte einen und fordert, dass den Taliban weiterhin jegliche Anerkennung verweigert wird.
REUTERS/SARAH MEYSSONNIER

Nasir Andisha sitzt gut gelaunt am Rednertisch im Wiener Bruno-Kreisky-Forum im 19. Bezirk, wo am Dienstag das dritte Wiener Treffen der afghanischen Taliban-Gegner im Exil zum Abschluss kam. "Sie haben jetzt teure Uhren, aber wir haben die Zeit", bringt der Genfer Gesandte der von den Taliban 2021 vertriebenen afghanischen Regierung die Anwesenden zum Schmunzeln.

Im Saal sitzen afghanische Exilpolitiker, Widerstandskämpfer, Kleriker sowie auch Menschen- und Frauenrechtsaktivisten. Insgesamt 50 oppositionelle Afghaninnen und Afghanen unterschiedlicher ethnischer Abstammung und Religion sind laut Organisator Wolfgang Petritsch, dem Präsidenten des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP), inzwischen an dem sogenannten Wiener Prozess für ein demokratisches Afghanistan beteiligt.

Das leicht abgewandelte Sprichwort ist unter den Anwesenden wahrlich kein unbekanntes: Bisher wurde es regelmäßig den radikalislamischen Taliban zugeschrieben – und ihrer Strategie, die US-Invasion auszusitzen. Sie ging bekanntlich auf: Seit dem chaotischen US-Abzug vor mehr als zwei Jahren sind sie wieder an der Macht und treten neuerdings offenbar auch mit teuren Luxusaccessoires auf.

Suche nach politischer Lösung

Jetzt sind es die ins Exil verbannten Gegner der Taliban, darunter ehemalige Minister, Abgeordnete und Funktionäre (manche davon durchaus umstritten), die seit Monaten um eine gemeinsame Strategie zur Vertreibung der radikalen Gruppierung ringen, während die Taliban ihre Macht festigen. Der Opposition fehlt der Schulterschluss der verschiedenen ethnischen und gesellschaftlichen Gruppen: Zahlreiche bisherige Oppositionstreffen in unterschiedlicher Konstellation – zuletzt in Tadschikistan – waren von internen Rivalitäten geprägt.

Die Teilnehmer des sogenannten Wiener Prozesses sind sich inzwischen dagegen über Grundlegendes einig: Der repressiven Taliban-Herrschaft, deren Hauptleidtragende Frauen sind, müsse ein Ende gesetzt werden. Der humanitäre Notstand – 90 Prozent leben unter der Armutsgrenze – könne nicht andauern. Angestrebt wird eine breite Koalition, der sich möglichst viele afghanische Akteure anschließen sollen und die mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft eine politische Lösung für ein demokratisches Afghanistan finden soll.

Darauf und auch auf einen weiterführenden Fahrplan habe man sich nun in Wien verständigt, erklärt Ahmad Massoud, der selbsternannte und hier von allen anerkannte Kopf der Initiative. Der Sohn des getöteten Taliban-Gegners Ahmad Shah Massoud, im Westen besser bekannt als "Löwe von Pandschir", spricht im Bruno-Kreisky-Forum von einem "großen Durchbruch", der zugleich nur der Anfang sei. Zunächst will man als Ansprechpartner international anerkannt und unterstützt werden, während den Taliban weiterhin jegliche Anerkennung verweigert werden soll, so die Forderung.

Signale für Appeasement

Doch obwohl das Wiener Format dem Vernehmen nach längst im US-amerikanischen Außenamt auf Interesse gestoßen ist, erhält die Initiative bisher keine nennenswerte Unterstützung internationaler Akteure, auch nicht von den USA. Im Gegenteil: Derzeit stehen die Zeichen auf dem internationalen Parkett augenscheinlich auf Annäherung mit den Taliban. Das betonen zur Konferenz geladene Expertinnen: die ehemalige stellvertretende US-Missionschefin in Kabul Annie Pforzheimer, der frühere US-Diplomat und Uno-Stellvertreter in Afghanistan Peter Galbraith und der britische Afghanistan-Experte David Loyn.

Vor wenigen Tagen haben die Taliban erstmals seit ihrer Machtübernahme einen Botschafter ins Ausland entsandt. Konkret nach Peking. China erkennt zwar, wie der Rest der Welt, die Taliban nicht als rechtmäßige Regierung an, unterhält dort dennoch eine Botschaft, wie auch etwa Russland. Aber nicht nur in China schreitet die schleichende Anerkennung der radikalislamischen Machthaber voran.

Auch das Weiße Haus und der Uno-Sicherheitsrat haben ihren Ton gegenüber den Taliban in den vergangenen Monaten merklich verändert, wie die Experten ausführen. Und das trotz eines Uno-Berichts, wonach die Taliban mit Terrorgruppen wie Al-Kaida und dem Ableger der IS-Terrormiliz in Afghanistan (ISK) eng verbunden sind und damit weiter eine Terrorgefahr darstellen. So wurde der Uno-Bericht in Washington angezweifelt. Das US-Verteidigungsministerium hat vorgeschlagen, die Taliban von einem Terrorgesetz zum Einsatz von Streitkräften, das auf die 9/11-Anschläge zurückgeht, auszunehmen. Ehemalige US-Geheimdienstbeamte raten zur Anerkennung der Taliban. Und es scheint eine Bereitschaft dafür zu geben, die Sanktionen gegen die seit 2001 als Terrororganisation eingestuften Taliban aufzuweichen. All das sowie fragwürdige Aussagen von US-Präsident Joe Biden, wonach die Taliban bei der Terrorbekämpfung helfen, wertet Top-Diplomatin Pforzheimer als eindeutige Vorboten eines "kurzsichtigen" Kurswechsels in Washington zugunsten einer Annäherung. Denn damit würden amerikanische Werte und womöglich auch langfristige Antiterrorbemühungen untergraben.

Taliban wollen Anerkennung

Afghanistan-Kenner Loyn betont indes, dass auch die Uno gewillt scheint, den Isolationskurs gegenüber den Taliban aufzuweichen: In der jüngsten Lageeinschätzung ist von einer "schrittweisen Wiederaufnahme diplomatischen Engagements" die Rede, ohne dass dies an Konditionen geknüpft sei. Die Exilafghanen sollten versuchen, der schleichenden Anerkennung etwas entgegenzusetzen, empfiehlt Loyn, der dem Wiener Format beratend zur Seite steht.

Jedenfalls scheinen sich alle Seiten darin einig zu sein, dass der Status quo in Afghanistan nicht aufrechtzuerhalten ist, auch die Taliban. Sie streben eine volle Anerkennung an und haben auf die jüngsten Signale entsprechend erfreut reagiert. "Legitimation von außen ist genau das, was sie brauchen", warnt Massoud und verweist auf den fehlenden Halt in der Bevölkerung. Mit den Taliban zu reden sei eine Sache. Aber: "Sie anzuerkennen oder eine strategische Partnerschaft mit ihnen einzugehen wäre eine Katastrophe für das afghanische Volk, das Ende demokratischer Bestrebungen im Land und eine fatale Botschaft für die Welt: nämlich dass Terrorgruppen walten können, wie sie wollen, und letztlich trotzdem anerkannt werden," so Massoud in Richtung der internationalen Gemeinschaft.

Es geht hier um weit mehr als die Zukunft von Afghanistan, darin scheinen sich etliche Konferenzteilnehmer einig. Befürchtet wird jedoch auch, dass erst ein weiteres 9/11 dazu führen wird, dass die Terrorgefahr, die von den Taliban ausgeht, ernst genommen wird. "Man kann sich immer darauf verlassen, dass die Amerikaner das Richtige tun – nachdem sie alles andere versucht haben", zitiert Genf-Gesandter Andisha den britischen Staatsmann Winston Churchill. Auch hierfür erntet er ein Schmunzeln, das durch die Reihen geht. Tatsächlich ruht weiterhin offenkundig viel Hoffnung auf dem Westen. Und das, obwohl sich die USA unter Donald Trump mit den Taliban in Doha an einen Tisch gesetzt haben und 2020 einem Abzug ihrer Truppen zustimmten.

Im Gegenzug verpflichteten sich die Taliban zu Friedensgesprächen über eine Machtteilung mit der afghanischen Regierung. Dazu kam es bekanntlich nie: Nach dem überstürzten US-Abzug unter Biden und dem unmittelbaren Kollaps der afghanischen Armee fiel Kabul. Wie es so weit kommen konnte, darüber ist man sich in Wien nicht einig: Immerhin spielten auch die grassierende Korruption und die alte politisch Elite, der einige Teilnehmer des Wiener Formats angehören, dabei keine rühmliche Rolle. (Flora Mory, 6.12.2023)