Ein Stoff kann dank unserer großzügigen Sprache so einiges sein. Manches, was ein Stoff ist, wirft auch Falten. Genau das gefällt dem Wiener Choreografen Oleg Soulimenko, der sich für sein neues Stück "The weather is nice, let’s picnic" mit der Company Parasol von Gilles Deleuzes Buch "Die Falte. Leibniz und der Barock" inspirieren ließ. Die Uraufführung wird am Samstag noch einmal im Parasol-Mutterhaus Tanzquartier Wien gezeigt.

Am Beginn des Stücks schleppen vier Performerinnen eine Menge an Stoffstücken auf die Bühne und spielen damit. Dabei werfen die Textilien reichlich Falten, denn Deleuze hat sich in seinem 1988 erschienenen und 1995 ins Deutsche übersetzten postmodernen Klassiker auf die Darstellung und Metaphorik der Falte im Barock konzentriert. Und da vor allem mit Bezug auf die Monadenlehre, wie sie von dem deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz zu Beginn des 18. Jahrhunderts entwickelt wurde.

Muss man Leibniz lesen, um "Die Falte" zu verstehen? Wäre nicht schlecht. Aber sollten wir jetzt Deleuze und Leibniz studiert haben, damit sich die Stofflichkeit von Soulimenkos Werk in uns voll entfalten kann? Glücklicherweise nicht. Denn dieser Choreograf ist nicht so einfältig, sich als Philosoph aufspielen zu wollen. Vielmehr nimmt er nur den einen oder anderen Satzfaden von Deleuze auf, um daraus sein szenisches Gewebe zu fertigen.

Tanztheater Wien
Das junge Quartett arbeitet sich am Zauber der Textilien ab.
Soulimenko Parasol/Alexi Pelekanos

Unheilvolle Stimme

Ein Satz Im Abendzettel ist die Danksagung an "Iris von Schrader, diverse Waschmaschinen und Spezialreinigungsmittel und alle Menschen, die bei der Reinigung der Textilien geholfen haben und helfen". Ein Bonus, der den Genuss des Stücks steigern kann, wenn man sich Schrader samt Waschmaschinen, Helfern und Reinigungsmitteln als unsichtbare Mitspieler vorstellt, die im Stoff auf der Bühne sozusagen eine Extra-Falte werfen.

Anfangs ist in "The weather is nice, let’s picnic" laut gerufenes Textmaterial zu hören: "Hey, let’s take a walk on the wild side!" Oder: "I didn’t know you ate my ice cream!" Zufallszitate aus dem Proben-Alltag vielleicht. Hingebungsvoll arbeitet sich das junge Quartett am Zauber der Textilen ab: Die Stoffstücke werden hochgehalten und wieder abgelegt, eine der Performerinnen versteckt sich im Textilgewühl und mimt mit unheilvoller Stimme ein Monster. Es gibt auch ein kurzes Schattenspiel zu sehen.

Tanztheater Aufführung Wien
Soulimenko gilt als Meister der Improvisation.
Soulimenko Parasol/Alexi Pelekanos

Oleg Soulimenko (63), nicht wegzudenken aus der Wiener Tanzszene, ist ein Meister der Improvisation und der Poesie des Banalen, Unbeachteten oder Nebensächlichen. Hier wird er zusätzlich zum Jongleur mit einer faltenfreien Betulichkeit, die den herrlich sauberen Parasol-Performerinnen anhaftet wie der zarte Duft eines Spezialreinigungsmittels.

Eine weitere Uraufführung zeigt das Tanzquartier übrigens am kommenden Samstag – Philipp Gehmachers "Windows, doors, no hindsight" mit renommierten Gästen wie Meg Stuart, Rémy Héritier und Ian Kaler. (Helmut Ploebst, 9.12.2023)