Mit den Stimmen der Regierungsmehrheit wollte das ungarische Parlament am Dienstagabend ein neues "Gesetz zum Schutz der Souveränität" beschließen. Nach mehreren, zum Teil vom Europäischen Gerichtshof aufgehobenen ähnlichen Legislativvorhaben scheint es dem autoritär regierenden Ministerpräsidenten Viktor Orbán wieder einmal darum zu gehen, einen Vorschlaghammer gegen Kritiker, Oppositionelle und zivilgesellschaftliche Akteure in Stellung zu bringen.

Die Souveränität ist ein hohes Gut – sie ermöglicht es den Staaten, als Subjekte des Völkerrechts eigenständig zu handeln. Das schließt auch das freiwillige Abtreten von Souveränitätsrechten an gemeinschaftliche Institutionen ein, so wie dies die Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU) praktizieren. Orbán scheint allerdings Souveränität vor allem auf sich selbst und sein eigenes Regierungshandeln zu beziehen, das durch demokratische Spielregeln und international eingegangene Verpflichtungen möglichst nicht eingeschränkt werden soll.

Viktor Orbán bei einer Rede
Das neue "Souveränitätsschutzgesetz" soll unter anderem die Macht von Viktor Orbán absichern.
EPA/Szilard Koszticsak

Das neue "Souveränitätsschutzgesetz" zerfällt in zwei Teile. Zum einen verbietet es Vereinen und Zivilorganisationen, die wahlkämpfende Gruppen unterstützen, Geld von ausländischen Spendern entgegenzunehmen. Schon bisher war es den Parteien verboten, Geld aus dem Ausland anzunehmen. Die betreffende Passage des neuen Gesetzes schließt nun ein Schlupfloch für Oppositionsparteien – für deren Wahlkämpfe konnten Vereine und Komitees bisher Geld auch im Ausland sammeln. Nötig war das deshalb, weil Orbán und seine Fidesz-Partei auf praktisch unbegrenzte Mittel zurückgreifen können. Sie verfügen ungehemmt über die Ressourcen des Staates und des Regierungsapparates sowie über die Gelder von Oligarchen, die der Orbán-Staat zu Euro-Milliardären gemacht hat.

Kooperations- und Auskunftspflicht

Der andere Teil des Gesetzes ist schwammiger formuliert und dient in erster Linie der Einschüchterung. Demnach wird ein neues "Amt für Souveränitätsschutz" gegründet. Dieses fungiert als Untersuchungsbehörde. Es ermittelt, ob Parteien, Zivilorganisationen, Vereine und Medien vom Ausland beeinflusst sind und die "Souveränität" des Landes – sprich: die politische Allmacht Orbáns – beeinträchtigen. Das Amt kann zwar nicht bestrafen, die von ihm untersuchten Akteure sind ihm aber zu umfassender Kooperation und Auskunft verpflichtet. Das Amt wird auf der Grundlage seiner Untersuchungen "Berichte" verfassen. Man kann erwarten, dass diese dann die "Wühlarbeit" unbotmäßiger Akteure anprangern und als Füllmaterial für Orbáns Interessen herhalten werden. Schon in der Vergangenheit dienten – teils antisemitisch konnotierte – Kampagnen gegen den US-Investor und Philanthropen George Soros dazu, das von einer "Verschwörung" gekaperte "Brüssel" und die angeblich aus dem Ausland gesteuerte Opposition zu dämonisieren.

Mehr als 100 ungarische Zivilorganisationen hatten bereits zu Monatsbeginn ihre Kritik am Gesetzesvorhaben formuliert. "Ein Land, in dem die Menschen nicht mehr für ihre eigenen Interessen einstehen können, ist keine Demokratie", heißt es in der Stellungnahme, die unter anderen das Helsinki-Komitee, Amnesty International und Transparency International unterzeichneten. "Dort, wo Staatsbürger, die ihre Meinung über öffentliche Angelegenheiten aussprechen, der Dienerschaft für ausländische Interessen bezichtigt werden, ist keine Freiheit."

Änderungen der Verfassung?

Da das neue Gesetz in die Grundrechte eingreift, sind auch Änderungen an der Verfassung vorzunehmen. Auch darüber wollte die Volksvertretung am Dienstagabend abstimmen. Dieses Votum galt ebenfalls als gesichert, weil die Fidesz-Partei über die nötige Zweidrittelmehrheit verfügt.

Zur Ironie der Geschichte gehört, dass die EU-Kommission laut dem Portal politico.eu kurz vor der Entscheidung steht, zehn Milliarden Euro an EU-Hilfen freizugeben, die als Teil eines größeren Pakets eingefroren sind, weil Orbáns Ungarn eklatant gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt. Tatsächlich hat der Rechtspopulist das eine oder andere Justizgesetz halbherzig und oberflächlich repariert. Wie wenig das am systematischen Abbau von Demokratie, Rechtssicherheit und Transparenz im Regierungshandeln ändert, zeigt das nunmehr auf den Weg gebrachte "Souveränitätsschutzgesetz". (Gregor Mayer, 12.12.2023)