Den Job hinschmeißen und sich einfach selbstständig machen – das ist ein Gedanke, den vielleicht auch dieses Jahr wieder viele Menschen beim Formulieren ihrer Neujahrsvorsätze haben. Der Einstieg in den Onlinehandel scheint hier ein lohnendes Feld zu sein, immerhin ist eine entsprechende Website schnell aufgesetzt, und Plattformen wie Alibaba versprechen internationale Erfolge mit vergleichsweise wenig Aufwand: Einen "Ende-zu-Ende-Exportservice" pries Kuo Zhang, Präsident von Alibaba.com, bei seinem Talk auf dem Web Summit 2023 in Lissabon an. Sein Unternehmen wolle es ermöglichen, Geschäft von überall auf der Welt zu machen.

Österreich kauft chinesisch

Gegründet im Jahr 1999 von Jack Ma, ist Alibaba mittlerweile ein Mischkonzern mit unterschiedlichen Marken und Geschäftsfeldern. Dazu gehört das Online-Auktionshaus Taobao ebenso wie das Online-Bezahlsystem Alipay. Hierzulande dürfte wiederum die Plattform Ali Express die bekannteste Marke des Konzerns sein. Das zeigt auch eine zuletzt durchgeführte Studie des österreichischen Handelsverbands: Demnach ist die Bekanntheit asiatischer E-Commerce-Anbieter in Österreich mittlerweile überraschend groß, bei Alibaba ebenso wie bei anderen fernöstlichen Anbietern: So kennen bereits 77 Prozent der Österreicher Wish, 71 Prozent kennen Ali Express (Alibaba), 52 Prozent Shein und 50 Prozent Temu. Rund 42 Prozent der 15- bis 27-Jährigen haben schon einmal beim Fast-Fashion-Anbieter Shein oder bei Temu, einem anderen Anbieter, bestellt.

Kuo Zhang, Präsident von Alibaba.com
Kuo Zhang, Präsident von Alibaba.com, will einen "Ende-zu-Ende-Exportservice" bieten.
REUTERS/PEDRO NUNES

Der B2B-Arm des Konzerns, Alibaba.com, richtet sich nicht an Privatpersonen, sondern an potenzielle Geschäftsleute: Es werden keine einzelnen Produkte, sondern gleich Großmengen bestellt, die wiederum an die Endkunden weiterverkauft werden. Über 47 Millionen Klein- und Mittelbetriebe (KMUs) in mehr als 200 Länder zählt die Plattform zu ihren Kunden. Und denen möchte es Zhang so einfach wie möglich machen.

Eine Business-App für alle

Das äußert sich unter anderem darin, dass es nicht nur eine Website gibt, über welche das Geschäft am Desktop-PC betrieben wird, sondern ebenso eine mobile App. Und diese fühlt sich beim Reinschnuppern des STANDARD nicht viel anders an als herkömmliche Shopping-Apps. Hat man sich einmal einen Account angelegt und sich angemeldet, so findet man hier auf dem Startbildschirm diverse Produkte, durch die man sich durchblättern kann. Unter dem Punkt "Inspiriert von Ihrer Geschichte" gibt es persönliche Empfehlungen auf Basis des bisherigen Browserverlaufs, ebenso werden Top-Seller, beliebteste Produkte und ausgewählte Empfehlungen angezeigt.

Screenshot Alibaba
Ein Auto um 2000 oder ein Haus um 6000 Euro: Es gibt nichts, was es auf Alibaba nicht gibt.
Screenshot

Zudem gibt es wie in anderen Shopping-Apps auch Menüpunkte für den eigenen Account, den Warenkorb und einen Messenger, wobei dieser hauptsächlich mit Nachrichten zu diversen Rabattaktionen übergeht. In diesem Kontext verschickt die App auch diverse Push-Nachrichten, in denen man aufgefordert wird, nun doch ein paar Gaming-Mäuse zu bestellen. Ein wenig schimmert der Business-Aspekt lediglich im Menüpunkt namens "Tipps" durch. Denn hier gibt es ein "Lernzentrum", in dem angehende Alibaba-Geschäftspartner in kurzen Videos diverse Dinge rund ums Geschäft erklärt bekommen, die Bandbreite der Themen reicht hier von einem Update zu aktuellen Fashion-Trends bis zu Tipps zur Kommunikation mit dem Lieferanten.

Es gibt nichts, was es nicht gibt

Denn Alibaba ist in erster Linie ein Marktplatz, auf dem diverse – meist chinesische – Hersteller ihre Waren direkt anbieten, für diese gibt es wiederum eigene Profile mit Unternehmenskennzahlen und Userbewertungen. Bestellt wird dann im Gegensatz zu klassischen Handelsplattformen nicht in Einzelstücken, sondern in den meisten Fällen in Großmengen. Und hier gibt es nichts, was es nicht gibt: Beim Durchstöbern fanden wir diverse Tech-Geräte ebenso wie Kleidung und aufblasbare Gebilde, die sich erst nach mehrmaligem Hinschauen als Sex-Toys entpuppten.

Auch Equipment für diverse Nischenhobbys kann erworben und später an die Endkunden weiterverkauft werden, von Brauanlagen für Hobbybraumeister bis zu Fischzuchtbecken. Wer es hingegen größer haben will, der kann auch in den Handel mit Tiny Houses einsteigen, diese kosten jeweils einen vierstelligen Eurobetrag. Landwirtschaftliche Geräte und Baumaschinen sind ebenfalls zu erwerben, von Minitraktoren um rund 500 Euro bis zu kleinen Baggern für je knapp 2000 Euro.

Produktfälschung per KI bestellen

Was sich unter den Suchergebnissen aber ebenfalls findet: ein Produkt für rund 40 Euro, das mit dem Text "Großhandel Top Original Klon I15 Pro Max Celular Android Smartphone 5g" beschrieben wird und zumindest dem Vorschaubild zufolge starke Ähnlichkeiten mit dem iPhone 15 Pro Max von Apple aufweist. Offensichtlich eine Produktfälschung. Dass es solche auch auf der Plattform gibt, ist wenig verwunderlich. Neu ist, dass die Suche danach mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) noch erleichtert wird.

iPhone 15 Pro max Fälschung auf Alibaba
Dieses Fundstück sieht aus wie das iPhone 15 Pro Max, ist aber natürlich eine Fälschung.
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"Stellen Sie sich vor, Sie sehen unterwegs einen Koffer, der Ihnen gefällt, und einen ähnlichen würden sie auch gerne verkaufen", pries Zhang in Lissabon eine neue Funktion an: Dann müsse man einfach mit der Smartphonekamera ein Foto machen, die KI analysiere anschließend das Bild und erledige den Rest. Der STANDARD testete diese Funktion mit eigenen Kopfhörern und Armbanduhren, um kurz darauf Vorschläge zu erhalten, authentisch wirkende Fake-Produkte für einen Bruchteil des Preises zu bestellen.

Experten warnen

Experten mahnen hier zu Vorsicht und Misstrauen. So hat der österreichische Handelsverband bereits 2019 dutzende Testbestellungen von Produkten namhafter Marken bei Ali Express beziehungsweise Alibaba durchgeführt – mit einem eindeutigen Ergebnis: Fast alle Produkte waren gefälscht, wie auch von Herstellerseite bestätigt wurde. Hinzu kommt laut dem Handelsverband, dass sich viele Händler aus dem asiatischen Raum nicht an die EU-Vorschriften und die erforderliche Produktkennzeichnung halten und somit die Sicherheit der Konsumenten gefährden.

"Wir sehen die Zusammenarbeit mit asiatischen E-Commerce-Plattformen aus mehreren Gründen kritisch", sagt Rainer Will, Geschäftsführer des Handesverbands: Erstens gebe es seit vielen Jahren immer wieder Probleme mit der Produktsicherheit, Produktfälschungen sowie Falschdeklarationen, etwa zur Umgehung der Zollgrenzen. "Zweitens haben wir auch große Bedenken in puncto Nachhaltigkeit." Die Lieferketten seien nicht nachvollziehbar, Datenschutzvorgaben werden ignoriert, unzählige Fake-Produkte verkauft, die vielfach mit giftigen Chemikalien belastet sind und gesundheitsgefährdend sein können.

Die Sache mit dem Dropshipping

Zurück zu Zhang. Dieser setzt weiterhin darauf, das Business für die Partnerinnen und Partner so einfach wie möglich zu gestalten – auch mithilfe diverser KI-Tools. So ist es schon jetzt möglich, sich die Fabriken der Hersteller in 360-Grad-Ansichten zeigen zu lassen oder ihnen in Videocalls Fragen zu stellen, per KI generierte Untertitel sollen dabei die Sprachbarriere senken. Generative KI-Tools sollen wiederum bei der Erstellung des Webshops und der Marketingmaterialien helfen, von KI-formulierten Werbetexten über via KI optimierte Produktbilder bis hin zu Werbevideos, die von einer KI generiert werden.

Doch das ist alles eigentlich nur Beiwerk. Die tatsächliche Erleichterung soll dank eines System namens Dropshipping erfolgen. Hier fasst der Händler die Ware gar nicht an, sondern gibt den Auftrag an den Online-Marktplatz, Lieferanten oder an den Großhandel, welcher die Produkte direkt im Namen des Händlers an den Endkunden schickt. Der Webshop, der das Dropshipping betreibt, hat kaum Investitionskosten, keine Absatzrisiken, spart erheblich bei Lager-, Versand- und Verwaltungskosten und benötigt auch kaum Kapitalreserven.

DROPSHIPPING ERKLÄRT: SO FUNKTIONIERT ES! (3 Schritte)
Auf Youtube gibt es viele Videos, die das schnelle Geld mit Dropshipping versprechen. Dieser Erklärclip ist vergleichsweise nüchtern und unaufgeregt.
Torben Baumdick

Im B2B-Business ist dies bei Großaufträgen bereits seit Jahrzehnten Usus, vor ein paar Jahren hat das Thema durch den Siegeszug von Onlinehandel und Social Media eine neue Dimension bekommen. Denn es war noch nie so einfach wie jetzt, einen Webshop zu launchen, Webshop-Baukästen wie jene von Shopify bieten direkte Schnittstellen zu entsprechenden Großhändlern, Bilder und Produktfotos werden direkt übernommen. Anschließend können die Produkte über Social Networks wie Instagram kostengünstig beworben werden.

"Vergleichbar mit dem NFT-Trend"

"Eine Zeitlang herrschte hier eine regelrechte Goldgräberstimmung, vergleichbar mit dem NFT-Trend 2022", sagt Will. "Jeder von uns kennt vermutlich jemanden, der wen kennt, der oder die quasi über Nacht dank Dropshipping Millionärin oder Millionär geworden ist. Die Realität schaut freilich meistens anders aus."

Seien die Lieferanten, mit denen der Dropshipper arbeitet, vertrauenswürdig und im Falle von Reklamationen ansprechbar, könne das Ganze durchaus gut funktionieren, so Will: Es werden Lagerflächen eingespart, Lieferwege reduziert, CO2 eingespart. "Durchaus seriöse Händler und Marktplätze betreiben das Geschäftsmodell erfolgreich", sagt er. Problematisch werde es jedoch auch hier, "wenn die Lieferanten aus Drittstaaten agieren, die Produkte beispielsweise von dubiosen Plattformen aus China bezogen werden". Lange Lieferzeiten kämen dann ebenso zum Tragen wie eklatante Qualitätsmängel, Produktpiraterie, Probleme beim Zoll oder generell bei der Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen wie des Verbraucherschutzes, wie Will erneut betont.

Rainer Will, Geschäftsführer des österreichischen Handelsverbands
Rainer Will, Geschäftsführer des österreichischen Handelsverbands: "Wenn die Europäische Union weiterhin zulässt, dass ausländische Drittstaatenhändler und Ultra-Fast-Fashion-Anbieter hier um billigstes Geld absoluten Schrott verkaufen dürfen, setzen wir unsere Stadtkerne aufs Spiel."
IMAGO/SEPA.Media

In eine ähnliche Kerbe schlägt Iris Thalbauer, Geschäftsführerin der Bundessparte Handel in der WKO: "Dropshipping kann insbesondere für Start-ups ein Vorteil sein, kleine Händler können Lösungen aufbauen, ohne dafür ein eigenes Lager zu benötigen", sagt sie zum STANDARD. "Allerdings kann es, abhängig vom Sitz des Dropshippers, zu Problemen kommen. Innerhalb der EU ist alles klar geregelt, doch ist der Sitz außerhalb, sind Fragen der Produkthaftung und Gewährleistung oft sehr schwierig und kompliziert zu klären. Vor allem sein Recht in China durchzusetzen ist nicht ganz einfach."

Vorsicht vor Gesetz und Regulierung

Rechtliche Punkte gibt es aber nicht nur, weil der Lieferant weit weg ist. Sondern auch aufgrund regulatorischer Vorgaben innerhalb Europas. Darunter fällt unter anderem die Abschaffung der 22-Euro-Freigrenze bei der Einfuhrumsatzsteuer: Seit 1. Juli 2021 fallen auch Paketsendungen aus Drittstaaten, deren Wert unter 22 Euro liegt, unter die Einfuhrumsatzsteuer. Nach dieser Änderung ist das Paketvolumen aus Drittstaaten, insbesondere aus China, deutlich zurückgegangen, heißt es seitens des Handelsverbands.

Eine andere regulatorische Hürde ist die Novelle des Abfallwirtschaftsgesetzes (AWG-Novelle). Seit 1. Jänner 2023 müssen Betreiber von elektronischen Marktplätzen in ihren Verträgen mit Handelsbetrieben und Herstellern sicherstellen, dass diese die gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf die Sammlung und Verwertung von Verpackungen, Einwegkunststoffprodukten, Elektroaltgeräten sowie Gerätebatterien einhalten und auch an einem Sammel- und Verwertungssystem teilnehmen.

Wird das nicht eingehalten, muss der Betreiber des Marktplatzes den jeweiligen Hersteller oder Handelsbetrieb von der Nutzung der Plattform ausschließen. Geschieht dies nicht, droht den Plattformen eine Verwaltungsstrafe in Höhe von bis zu 8.400 Euro. Das war übrigens der Grund dafür, dass der chinesische Online-Marktplatz Ali Express Anfang 2023 vorübergehend nicht mehr nach Österreich geliefert hat. Inzwischen kann dort aber wieder bestellt werden.

Umwelt und Arbeitsplätze

Harte Worte findet Will schließlich gegenüber den Herstellern, aber auch gegenüber den EU-Gesetzgebern, wenn es um Nachhaltigkeit und den Wirtschaftsstandort geht. "Wenn die Europäische Union weiterhin zulässt, dass ausländische Drittstaatenhändler und Ultra-Fast-Fashion-Anbieter hier um billigstes Geld absoluten Schrott verkaufen dürfen, setzen wir unsere Stadtkerne aufs Spiel", sagt er. "Und natürlich schafft der Handel auch Arbeit – für 709.000 Menschen ist er die Lebensgrundlage, das sollten wir nicht aus den Augen verlieren." Er fordert unter anderem das Schließen bestehender steuerlicher Schlupflöcher, durch welche lokale Händler aktuell benachteiligt seien.

Für Menschen, die sich 2024 im Onlinehandel selbstständig machen wollen, gilt indes: Potenzial gibt es, die Einrichtung eines Webshops ist leichter als je zuvor. Und auch Dropshipping muss nicht zwingend schlecht sein, solange es mit seriösen Partnern erfolgt. Zugleich muss gesagt werden, dass die Goldgräberstimmung vorbei ist, der Markt ist gesättigt, der Mitbewerb enorm. Viele Gründer unterschätzen zudem den Aufwand für die Kuratierung des Shops, für das Monitoring der Preise, den Kundenservice, die administrative und buchhalterische Abwicklung und nicht zuletzt die kontinuierlichen Investments ins Marketing. Wer es also wirklich wagen möchte, der braucht einen langen Atem. Und sollte sich eine Nische suchen, die noch nicht ausreichend bedient ist. (Stefan Mey, 25.12.2023)