Erst 2022 wurden diese Fossilien aus dem NHM den Nachfahren der rechtmäßigen Besitzer restituiert.
Erst 2022 wurden diese Fossilien aus dem NHM den Nachfahren der rechtmäßigen Besitzer restituiert.
NHM Wien

Geht es um Restitution, dann verstellen bedeutende Kunstwerke in der allgemeinen Wahrnehmung oft den Blick auf das Wesentliche: Der Raubzug in der NS-Zeit betraf vor allem Alltagsgegenstände und persönliche Besitztümer von wirtschaftlich meist geringfügigem, jedoch hohem ideellem Wert. Solche gelangten über unterschiedliche Wege in öffentliche Sammlungen, nicht nur über die staatlich organisierten Enteignungen und Verwertungen, sondern auch über private Notverkäufe: wie bei vier Fossilien, die ein gewisser Fritz Illner, von Beruf Straßenbauingenieur, in den 1920er-Jahren bei einer seiner Dienstreisen in der Türkei erworben haben dürfte.

Wie die Provenienzrecherche ergab, waren die drei Ammoniten (Kopffüßer) und der Inoceramus (Muschel) von Illners Schwägerin im Juni 1938 für 20 Reichsmark an das Naturhistorische Museum Wien verkauft worden.

Es ist dies eines von 25 Beispielen aus 25 Jahren heimischer Restitutionspraxis, die aus Anlass des Jubiläums des im ­Dezember 1998 eingeführten Kunstrückgabegesetzes im neuen, neunten Band aus der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung näher beleuchtet werden.

Briefwechsel Sandrock – Roda Roda

In anderen Fällen geht es um Spazierstöcke (Wien-Museum), um einen Briefwechsel zwischen der Schauspielerin Adele Sandrock und dem ihr über eine Affäre zugeneigten Schriftsteller Alexander Roda Roda (Österreichische Nationalbibliothek) oder auch um Sprechplatten (Technisches Museum) mit Stimmporträts von Kaiser Franz Joseph.

Vor seiner Flucht nach Schanghai verkaufte der Rechtsanwalt Siegfried Fuchs 34 Spazierstöcke an die Städtischen Sammlungen. Nach der Restitution an seine Erben wurden sie rückerworben.
Vor seiner Flucht nach Schanghai verkaufte der Rechtsanwalt Siegfried Fuchs 34 Spazierstöcke an die Städtischen Sammlungen. Nach der Restitution an seine Erben wurden sie rückerworben.
Wien Museum/TimTom

Nicht zu vergessen die großen Causen, allen voran jene rund um die Klimt-Gemälde der Familie Bloch-Bauer (Belvedere), die erst in einem Schiedsverfahren entschieden wurde. Tatsächlich waren es namhafte Kunstwerke – zwei Bilder von Egon Schiele aus der Sammlung Leopold –, die im Jänner 1998 in New York beschlagnahmt worden waren, die international zu einer breiten Debatte und letztlich zur Verabschiedung der Washingtoner Erklärung im Dezember desselben Jahres führten.

"Gerechte Lösungen"

44 Staaten hatten sich damals verpflichtet, Kulturgut, das während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt worden war, ausfindig zu machen, die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Erben zu finden und rasch Schritte zu setzen, um zu "fairen und gerechten Lösungen" zu gelangen.

Rechtlich bindend war diese Vereinbarung allerdings nicht. Sie wurde von den Ländern mit unterschiedlichen Regelungen und teils auch gar nicht umgesetzt. Die Bilanz nach 25 Jahren ist dürftig. Bis vor kurzem war Österreich das einzige Land mit einem Kunstrückgabegesetz und einer für Bundesbestände systematisch betriebenen Provenienzforschung. Und nicht überall werden, wie hier, auch andere Objekte restituiert.

Ende Juni verabschiedete die französische Nationalversammlung ein neues Gesetz, das die Rückgabe von NS-Raubgut aus öffentlichen Sammlungen vereinfachen soll. Bislang forderte jeder Fall einen eigenen Beschluss.

Unwürdiges Gezerre

Das Fehlen einer rechtlichen Basis monierte jüngst Hans-Jürgen Papier, Präsident der vor 20 Jahren in Deutschland gegründeten Beratenden Kommission, die als Schlichtungsstelle agiert. Zur Umsetzung des Washingtoner Abkommens hätte ein Gesetz erlassen werden sollen, stattdessen entschied man sich für eine bloße politisch-moralische Selbstverpflichtung, wie er im Spiegel sagte. Damit habe es sich Deutschland zu leicht gemacht, in der Praxis führte das oft zu einem unwürdigen Gezerre um Kunstwerke.

Ähnliche Kommissionen sind in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden aktiv – allerdings mit überschaubaren Ergebnissen. Der schweizerische Bundesrat verabschiedete vor kurzem die Einsetzung einer "unabhängigen Kommission für historisch belastetes Kulturerbe", die im Jänner startet.

Naturkundliche Objekte werden dort kaum Priorität genießen. Auch in Österreich sind sie nach rund 400 Empfehlungen des Beirats eine Minderheit geblieben. Ende Dezember 2022 wurden die vier Fossilien den Nachfahren von Fritz und Anna Illner, die beide in Auschwitz ermordet wurden, in der österreichischen Botschaft in Tel Aviv übergeben und fanden als Leihgabe im Naturkundemuseum der dortigen Universität eine neue Heimat. (Olga Kronsteiner, 20.12.2023)