In Serbien geht die Justiz gegen Demonstranten vor, die seit zehn Tagen wegen Unregelmäßigkeiten und möglichen Wahlbetrugs bei den Wahlen vom 17. Dezember auf die Straße gehen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Protestierenden vor, sie hätten versucht, die Verfassungsordnung gewaltsam zu ändern. Die Strafe für diese Taten kann in Serbien zwischen sechs Monaten und fünf Jahren Gefängnis liegen.

Am 24. Dezember wurden 38 Protestierende festgenommen, die vor dem Rathaus in Belgrad demonstrierten. Sie schlugen ein Fenster ein und versuchten das Rathaus zu stürmen. Die Polizei schritt mit massiver Gewalt ein. Die Staatsanwaltschaft gab nun bekannt, dass bereits sieben festgenommene Personen ihre Schuld eingestanden und eine Vereinbarung über Bewährungsstrafen und Geldstrafen getroffen hätten. Vier Personen müssen für maximal 30 Tage in Haft bleiben, fünf Personen sollten ohne elektronische Überwachung unter Hausarrest gestellt werden, eine Person wurde freigelassen.

Enttäuschte Hoffnung

Präsident Aleksandar Vučić und der mit ihm verbündete Chef der Sozialistischen Partei, Ivica Dačić, hatten bereits vor der Entscheidung der Staatsanwaltschaft erklärt, dass die Protestaktionen gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstießen. Deshalb glauben viele Menschen in Serbien, dass die Staatsanwaltschaft auf politischen Zuruf agiert. Einer der Oppositionsführer, Miroslav Aleksić, meinte, die Anschuldigungen seien völlig falsch. "Wir wollen nirgendwo einen gewaltsamen Übergriff, wir wollen keine gewaltsame Macht. Wir wollen die Annullierung der gestohlenen Wahlen."

Viele Anhänger des Oppositionsbündnis "Serbien gegen Gewalt" glauben, dass die Lokalwahlen in der Hauptstadt, die am selben Tag stattfanden wie die Parlamentswahlen, von der regierenden Fortschrittspartei SNS von Vučić manipuliert worden seien, sodass das Ergebnis zugunsten der SNS ausfiel. Die Opposition hatte einen Sieg in Belgrad erhofft. Die regierende SNS kam in Belgrad auf 40 Prozent der Stimmen, die größte Oppositionspartei "Serbien gegen Gewalt" auf über 35 Prozent der Stimmen.

Protest in Belgrad gegen die möglichen Wahlmanipulationen durch die Regierung.
AP/Darko Vojinovic

Am 30. Dezember ist eine Wiederholung in 30 von mehr als 8.000 Wahllokalen geplant, allerdings will das Oppositionsbündnis diese Wahlwiederholung boykottieren, weil sie sie für eine Farce und ein nur scheinbares Entgegenkommen hält. "Die Wiederholung kann weder den Betrug annullieren noch die Ungerechtigkeit vom 17. Dezember korrigieren. Deshalb werden wir uns nicht daran beteiligen", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme von "Serbien gegen Gewalt". Es habe keinen Sinn zu wählen, während sich Abgeordnete wegen nachgewiesenen Wahlbetrugs im Hungerstreik befänden, politisch Andersdenkende festgenommen und Studenten von der Polizei geschlagen und inhaftiert würden.

Nicht wohnhafte Lokalwähler

Am Dienstagabenden forderten die Demonstranten, die bis zum Justizpalast marschierten, die Freilassung der rund 30 noch inhaftierten Studierenden. Am Mittwoch stellten sie untertags in der zentralen Knez-Mihailova-Straße einen Tisch auf, um Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu bieten, mit ihnen zu diskutieren. Sie reichten beim Ministerium für Staatsverwaltung zudem erneut einen Antrag auf Öffnung der Wählerliste ein. Denn viele Oppositionelle verweisen auf zahlreiche Ungereimtheiten bei den Wählerlisten. So wurden etwa Bürger aus dem Nachbarstaat Bosnien und Herzegowina nach Belgrad in die Arena der Stadt gekarrt und dort angewiesen, bei den Lokalwahlen zu wählen, obwohl sie gar nicht in Serbien leben.

Die Demonstranten forderten die Passanten auf, das Ministerium für Staatsverwaltung anzurufen und zu fragen, wann das Wählerverzeichnis geöffnet werde. Trompeter und andere Musiker schlossen sich in Weihnachtsmannkostümen der Demonstrantenkolonne an. Für Mittwochabend war ein weiterer Protest vor der Wahlkommission geplant. Die Studierenden, die bereits am Montag die Innenstadt von Belgrad blockiert hatten, kündigten zudem für Freitag eine 24-stündige Blockade an.

Besonders die Universitäten zeigen sich als Schwerpunkte des Protests gegen die möglichen Wahlbeeinflussungen.
EPA/ANDREJ CUKIC

Auch einige Professorinnen und Professoren unterstützen die Studierenden. So meinte etwa Oliver Tošković von der Philosophischen Fakultät in Belgrad zu dem Medium N1: "Man sieht, dass ein großer Teil der akademischen Gemeinschaft hinter uns steht. Kollegen aus allen Fakultäten Serbiens haben sich uns angeschlossen. Derzeit sind es 800 Dozenten und Forscher." Die Vizepräsidentin der Partei der Freiheit und Gerechtigkeit, Marinika Tepić, und weitere sechs Oppositionspolitiker befinden sich indes seit mehr als einer Woche im Hungerstreik und fordern die Annullierung der Wahlen.

Kritik von Beobachtern

Die Wahlbeobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europaparlaments hatte einen Tag nach der Wahl "den Missbrauch öffentlicher Mittel, die mangelnde Trennung zwischen offiziellen Funktionen und Wahlkampfaktivitäten sowie Einschüchterung und Druck auf Wähler, darunter auch Fälle von Stimmenkauf", kritisiert. Die unabhängige Wahlbeobachtungs-NGO CRTA berichtete nach zahlreichen Recherchen, dass sie den begründeten Verdacht sehe, dass es bei den Wahlen zu organisierten Wählerwanderungen in einem derartigen Ausmaß gekommen sei und dass dies den Ausgang der Wahlen entscheidend beeinflusst habe.

Vertreter des Europarats wollen zu Beginn des neuen Jahres nach Serbien reisen, um über die Verbesserung des Wahlprozesses und die dringend erforderlichen Reformen zur Bekämpfung potenziellen Betrugs zu besprechen. Der Europarat hat die serbischen Behörden aufgefordert, alle mutmaßlichen Verstöße gegen den Wahlprozess anzugehen und zu untersuchen.

Das autoritär regierende Regime in Belgrad wird vor allem von Ungarn und Russland unterstützt, aber auch die US-Regierung steht fest hinter Vučić. Auch die österreichische Regierung hat seit der Zeit, als Sebastian Kurz Kanzler wurde, ein besonderes Naheverhältnis zu dem Regime in Belgrad. Das deutsche Außenministerium unter Annalena Baerbock hatte zuletzt die Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen als "inakzeptabel" für einen EU-Kandidatenstaat bezeichnet. Die serbische Regierung hat in den vergangenen Jahren keinerlei Signale dahingehend ausgesendet, überhaupt in die EU zu wollen. Die Union unterstützt Serbien jedoch trotzdem mit hunderten Millionen Euro der EU-Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. (Adelheid Wölfl, 27.12.2023)